Mit dem Beiboot Kiel versuchen wir als Firma, neue Wege zu gehen. Der folgende Artikel beschreibt dieses Experiment aus der Perspektive des frischgebackenen Jung-Kapitäns Torben Honigbaum und aus Sicht des "Mutterschiffs", der Unternehmensleitung.
Torben
In etwas weniger als vier Wochen werde ich Bremen den Rücken kehren und zu meinen Wurzeln nach Kiel zurückkehren. Vor nunmehr neun Jahren ging ich genau den entgegengesetzten Weg. Das Wirtschaftsinformatik-Studium lag hinter mir und viele meiner Freunde verteilten sich quer über das Land. Für mich fiel die Wahl am Ende auf Bremen. Motiviert durch eine bessere Aussicht auf Jobs im IT-Bereich wurde Bremen 2009 meine neue Heimat.
Als neuland mich Ende 2011 an Bord begrüßte, verteilten sich knapp 40 Mitarbeitende auf zwei Lofts. Seitdem hat sich einiges getan und neuland ist stetig gewachsen. Aus den damals 40 Mitarbeitenden sind mittlerweile 130 geworden und es wird Ausschau nach Loft Nummer 8 gehalten, bevor der Platz für weiteres Wachstum zu knapp wird. In all den Jahren war es spannend, diese Entwicklung zu beobachten und mitzugestalten. Die Möglichkeit, in verschiedensten Positionen und in verschiedenen Teams zu wirken, die Autonomie dieser Teams und die Selbstorganisation der eigenen Arbeit und Fähigkeiten bieten ein Arbeitsumfeld, das man schnell zu schätzen weiß und ungern verlässt.
Dennoch war die Idee, irgendwann zurück nach Kiel zu ziehen, schon lange da. Einhergehen würde damit allerdings auch, dass ich neuland verlassen müsste. Ein Gedanke, mit dem ich mich nach sieben spannenden Jahren nur schwer anfreunden konnte. Als die Idee zum Plan wurde, suchte ich das Gespräch mit meinem Team. Schnell sprachen wir darüber, was ein Weggang für neuland, mein Team und für mich bedeuten würde, und über die Frage, ob wir nicht Antworten in Form neuer Strukturen finden, die die Arbeit auch zukünftig, trotz der Entfernung, ermöglichen und für alle Beteiligten interessante Perspektiven bieten.
So entstanden in einer Gruppe von Peers die ersten Ideen, um Antworten auf diese Frage zu finden. Pendeln war aufgrund der Entfernung schnell vom Tisch. Und allein von zu Hause zu arbeiten beinhaltet viele wichtige Punkte, die mir bei der täglichen Arbeit, so wie ich sie bei neuland schätze, fehlen würden:
- die Arbeit in einem Team
- der inspirierende Austausch mit Kolleginnen und Kollegen
- die Kultur, die neuland so sehr prägt
Was also wäre, wenn man versuchen würde, neuland als Ganzes über die Grenzen von Bremen hinaus wachsen zu lassen? Mit dieser Frage entstand unser neuestes Experiment, welches wir auf den Namen „Beiboot Kiel“ getauft haben. Im gleichen Atemzug entstand auch ein Strauß neuer Fragen. Welche technischen Voraussetzungen müssen wir schaffen? Von wo aus kann die Arbeit stattfinden? Welche rechtlichen Fragen werden wir beantworten müssen? Wie kann ein Team in Kiel aussehen und wie stellen wir dieses zusammen? Wie lässt sich die Arbeit eines solchen Teams in die vorhandenen Strukturen von neuland integrieren? Am spannendsten ist aber sicher die Frage, wie wir es schaffen, die kulturelle Nabelschnur zum Mutterschiff nicht reißen zu lassen. Ist dies überhaupt möglich?
Seitdem haben wir gemeinsam Ideen entwickelt und viele der Fragen für uns beantwortet. Die technischen und rechtlichen Fragen sind geklärt. Andere Fragen werden sich erst während der Fahrt oder durch Kurskorrektur klären lassen. Auf jeden Fall freue ich mich auf das Experiment, darauf neue Kolleginnen und Kollegen mit an Bord zu nehmen und gemeinsam einen neuen Teil von neuland prägen zu können. Eine exakte Kopie von neuland wird das Beiboot aber nicht werden, da bin ich mir sicher. Soll und muss es aber auch nicht. Denn genau wie sich eine eigene Kultur in unseren autonomen Teams bewährt hat, so kann sie es auch hier. Die Kultur von neuland soll die des Beiboots aber maßgeblich prägen - nach sieben Jahren bei neuland wird auch so viel der Kultur ins eigene Blut übergegangen sein, dass mir dies gelingen wird.
Somit ist das Beiboot in Kiel bereit für seine Jungfernfahrt. Wie lange wir uns vom Mutterschiff ziehen lassen, wie und in welche Richtung wir selbst rudern und wann wir vielleicht sogar die Segel hissen, wird die Zukunft zeigen. Ich freue mich!
Die Unternehmensleitung
Unser Unternehmen ist Arbeits- und Lebenszusammenhang für rund 130 Menschen. Wenn man eine stetig fortgeschriebene Erzählung über uns formulieren möchte, dann ist zentraler Aspekt dieser Geschichte wohl, dass wir Strukturen immer um unsere Bedürfnisse herum entwickeln anstatt den gegenteiligen Weg zu gehen. Konkret: wir halten z. B. nicht viel vom Begriff Work-Life-Balance, weil wir glauben, dass Arbeit eine Teil- und Untermenge von Leben ist. Wenn wir das Verhältnis von Arbeit und Reproduktion so verstehen, fördern wir damit auch die Flexibilität und Resilienz unserer Organisation - so glauben wir.
Wir wollen Antworten auf vielfältige Fragen und Anforderungen durch diejenigen entwickeln lassen, die sie angehen. In iterativen und kleinschrittigen Prozessen, ohne den Anspruch, Silver Bullets zu finden - das sind unsere Experimente. Hier berichten wir von einem solchen Versuch.
Unser lieber und hoch geschätzter Kollege Torben Honigbaum kam vor einiger Zeit auf sein Team und seine Peers mit dem Plan zu, nach einigen Jahren Bremen wieder nach Kiel zurückzukehren. Das passierte frühzeitig und vertrauensvoll - ein großes Lob an alle Beteiligten. Für ihn ist das toll, für uns (sein Team und neuland insgesamt) ist das eine große Herausforderung. Er ist schon lange Jahre wirksam im Radius Führung und ist auf dem Weg in den Radius Firma - solche wichtigen Figuren ersetzt man nicht mal eben so.
Wir haben in einer Gruppe von Peers über seinen Wunsch gesprochen und gemeinsam Ideen entwickelt. Herausgekommen ist etwas Neues, das wir in der Unternehmensleitung vorgestellt haben und ausprobieren. Wir nennen es „das Beiboot“.
Unsere Überlegungen (die wir in einer Reihe von A3 Templates für die Gruppe und die Unternehmensleitung dokumentiert haben):
- Problem 1: Wir verlieren (immer mal wieder) gute Mitarbeiterinnen, die eigentlich noch gerne für uns arbeiten würden und die wir halten möchten. Fernpendeln ist keine gute Lösung, denn die hohe Last macht keinem Spaß (im Fall Bremen - Kiel ist sie physisch keine Option).
- Problem 2: Wir leben als Teams und Unternehmen davon, dass wir an einem Ort zusammen arbeiten. Osmotische Kommunikation trägt einen Großteil zu unserer Kultur und zu unserem Wissensaufbau und -verteilung bei. Menschen, die nicht bei neuland sind, sind von dieser Quelle abgeschnitten und vice versa.
Wir formulierten als Ziele:
- Ziel 1: die Arbeit mit Torben so organisieren, dass der Umzug nach Kiel nicht zur Kündigung bei neuland führt und Torbens wertvolle Beiträge neuland erhalten bleiben
- Ziel 2: ein Setting entwickeln, das vielleicht auch für ähnliche Fälle als Vorlage, Blaupause oder Handreichung dienen kann (z. B. für fernpendelnde Kolleginnen, von denen wir heute schon einige haben)
Unsere Maßnahmen
Wir wollen Teams an anderen Orten als Bremen als Option ermöglichen. Dazu haben wir überlegt:
- Neue Teams können und sollen bedarfsgerecht aufwachsen
- Homeoffice ist eine Option für den Start
- Wir brauchen ein Paket technischer Lösungen, das Torben die Arbeit erleichtert und die osmotische Kommunikation über räumliche Distanz ersetzt oder näherungsweise deren Fehlen ausgleicht. Dazu sind - logisch - Bandbreite, VPN, IMS (wir nutzen Mattermost und Slack), Videokonferenzen für Dialog und Stand up zentral. Ob wir weitere Shared Devices einsetzen, wollen wir nach dem Experiment bewerten.
- Wir vereinbaren regelmäßige Präsenztage bei neuland, die für alle wertvoll sein müssen, um die Fahrten von Kiel nach Bremen und zurück zu rechtfertigen.
- Sollten sich in der Zukunft neue Kolleginnen in Kiel finden, dann denken wir darüber nach, in einem kollaborativen Workspace Raum und Platz zu bieten, damit um den Einzelarbeiter Torben schnell wieder ein agiles Team entstehen kann.
- Torben und das neue Team sollen an einem geschlossenen Thema arbeiten können. Wir haben über eigene Vertikalen oder Kontexte nachgedacht und werden Torbens aktuelles Kundenteam als Ausgangspunkt nehmen (die Alternative z. B. einer neuen Vertikalen haben wir mit Rücksicht auf die dann vielen neuen Aufgaben verworfen).
- Verwaltungstätigkeiten und technische Administration werden von Bremen aus gemacht, so wie bei den anderen Teams auch.
- Wir unterstützen das Experiment „Beiboot Kiel“ über unsere Netzwerke und mit dem, was wir an Öffentlichkeitsarbeit auch sonst so machen (dieser Blogpost gehört auch dazu), aber wir machen mehr als sonst und konzentrieren uns darauf, Torbens Start in Kiel mit allem zu unterstützen, was wir haben.
- Sobald wir soweit sind, dass Einstellungen für das neue Team anliegen (und möglich werden), organisieren wir flexibel, wo sie stattfinden. Torben wird von den Kolleginnen des Bewerbungsteams unterstützt, alle neuen Kolleginnen sollen auf jeden Fall Bremen gut kennenlernen.
Wir haben den Vorschlag in der Unternehmensleitung besprochen und beschlossen. Wir haben mehrere Umsetzungsmeetings durchgeführt und das Experiment konkretisiert und justiert. Das war höchst ertragreich.
Wo stehen wir heute?
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, das Beiboot kann zu Wasser gelassen werden. Manche Dinge haben wir justiert (siehe oben), andere hatten wir gar nicht bedacht. So stellte sich relativ schnell die Frage, ob es rechtlich überhaupt möglich ist. Hier sind wir allen Kolleginnen dankbar, die uns a) mit Rat und Tat unterstützt haben und b) den Wert des Experiments so hoch eingeschätzt haben, dass wir das Nötige tun konnten und tun werden.
Wo wollen wir hin?
Wir freuen uns auf die ersten Fahrten des Beiboots und sind uns sicher, dass es Torben genauso geht. Wir wissen, dass wir noch ganz schön rudern müssen und werden Torben dabei nach Kräften unterstützen. Und dann schauen wir, ob oder was wir für die nächsten Fragen gelernt haben, die sich stellen, wenn man die Arbeit als eine Teilmenge von Leben organisiert und gleichzeitig Wert für unsere Kunden, das Team und neuland schaffen will.
Spannend bleibt es allemal.