05.05.2022 von Malte Breuer

“Optimizing software team interactions for flow” – unter der Prämisse organisieren sich Unternehmen (nicht erst seit der Veröffentlichung von Team Topologies) um. Aber was passiert, wenn während dieser Optimierung die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu kurz kommt?

Team Topologies & Innovation

Zwei ganze Kapitel widmen Matthew Skelton & Manuel Pais dem Thema “Evolving Team Interactions for Innovation and Rapid Delivery”.

“Collaboration can be a powerful driver for innovation but can also reduce flow.”
Pais & Skelton: "Team Topologies: Organizing Business and Technology Teams for Fast Flow"

Diesen Widerspruch in sich kann auch Team Topologies nur in Teilen auflösen.

Was man unter Innovation versteht

Innovation ist die Umsetzung einer Idee. Sie ist anfassbar, muss also von Menschen erlebt werden. Es reicht damit nicht aus, dass man eine Idee zu Papier bringt – ein Konzept schreibt, das den Status Quo herausfordert. Über Innovationen lässt sich streiten: Ist eine Neuerung etwas, das die Gesellschaft voran bringt? Wie tragfähig ist sie? Ist eine Neugestaltung eines Arbeitsprozesses bereits eine Innovation?

Auch wenn diese Fragen sicher spannend sind und ihren Platz haben, ist Innovation im engeren (wirtschaftlichen) Sinne eben nur dies: Der Ausdruck, dass eine Neuerung vom Markt angenommen wird. Die Innovation stillt also einen Bedarf im Markt und wird nicht auf Basis von Moral oder anderen Werten beurteilt.

Spannungsfeld Exploration & Exploitation

Für Unternehmen sind Innovationen natürlich spannend. Sie versprechen Effizienzsteigerungen oder besichern sogar die Zukunft der Unternehmen durch völlig neue Geschäftsmodelle. Das Finden dieser Innovationen ist schwierig und das Setzen darauf auch eine Wette auf die Zukunft.

Da ist es einfacher das erfolgreiche bestehende Geschäftsmodell noch weiter auszureizen. Diese Exploitation ist ein Erfolgsmodell, solange sich die Marktumgebung nicht stark ändert. Das Unternehmen kann sich voll und ganz auf den Ausbau bestehender Kompetenzen konzentrieren. Sie hilft dabei bestehende Abläufe zu optimieren, Kosten zu senken, Geschwindigkeit aufzunehmen. Was passiert aber, wenn der Markt sich ändert? Helfen bestehende Kompetenzen bei der Weiterentwicklung, stehen sie vielleicht auch im Weg? Hat das Unternehmen schließlich neue Antworten auf neue Probleme gefunden?

Auf der Explorationsreise zu diesen neuen Antworten muss das Unternehmen Dinge, die es gelernt hat, in Frage stellen. Die Marktveränderungen machen das zur Notwendigkeit. Zum Einen sind es die Kompetenzen, die Antworten auf die Fragen, die das Unternehmen schon kennt. Zum Anderen sind es auch die Fragen selbst, die in Frage stehen. Das aktuelle Geschäftsmodell bietet hier nur bedingt Antworten.

Innovation spielt in Team Topologies eine große Rolle

Für Team Topologies ist die Antwort auf das Spannungsfeld von Exploration und Exploitation relativ einfach. Mit den bekannten Team-Interaktionen kann ein Unternehmen Exploration in neue Felder hinein mit Hilfe von Kollaboration erreichen. Kollaboration bietet hier besonders gute Möglichkeiten für die Teams schnell Neues zu lernen. Der Wissensaufbau in dieser Phase ist der Grundstein für eine Neuausrichtung hin zu Innovation. Ist das Lernen irgendwann dann ausreichend passiert, so kann aus einer Kollaboration über die Zeit eine X-as-a-service Interaktion werden. Dies passiert unter der Voraussetzung, dass für die beteiligten Teams die Abgrenzung klar ist und Stabilität auf der Zusammenarbeit und auf den Streams besteht.

Die X-as-a-service Interaktion scheint dabei so etwas wie das logische Ziel von sich stabilisierenden Systemen zu sein. Wir kennen das aus der Vertikalisierungsdiskussion.

Der Auslöser für ein exploratives Vorgehen liegt bei Team Topologies im Operativen. So wird im Buch von “Treat operations as high-fidelity sensory input for self-steering.” geredet. Dieses Organisational Sensing ist der primäre Trigger, durch den eine Organisation auf Änderungen reagiert und auch Anstöße für Organisationsveränderungen auslöst. Dieses Sensing soll dann Team-Interaktionen und auch Team-Topologien so ändern, dass man mit ihnen Innovationen beschleunigen kann. Die Trigger, die im Buch angestoßen werden, sind:

  • Software has grown too large for one team
  • Delivery cadence becoming slower
  • Multiple business services rely on a large set of underlying services

An diesen Beispielen wird schon deutlich, dass die primären Gedanken sich um die Flow-Optimierung und damit die Exploit-Phasen drehen. Die Toolbox für diese Optimierungen:

  • Die Etablierung neuer Teams mit klaren Verantwortlichkeiten, um wieder Herr der Lage zu werden,
  • das Lösen von Abhängigkeiten und
  • das Etablieren von Plattform-Teams bzw. das Verlagern der “underlying services” in die Stream-aligned teams.

Neben dem Sensing ist auch der gekonnte Einsatz von Topologien und Interaktionen wichtig. Der richtige Einsatz, die richtige Interaktion und auch die Dauer der Evolution entscheiden über die Fähigkeit zur Veränderung.

Grenzen der Innovation mit Team Topologies

Nachdem wir nun grob verstanden haben, wie Team Topologies mit dem Begriff Innovation umgeht, widmen wir uns den Grenzen dieses Ansatzes.

Veränderungen im Markt begreifen

Team Topologies geht davon aus, dass die Organisation über Sensing Veränderungen im Markt mitbekommt. Dafür spricht einiges. Die Ops-Seite hat oft ein Ohr direkt am laufenden Betrieb, sie bekommen Trends bzw. Veränderungen direkt mit. Das Buch bleibt bei grundlegenden Marktveränderungen dünn. Es wird über DevOps als Lösung gesprochen, Veränderungen z.B. durch eine Platformize Strategie – all das sind Flow-Optimierungen, die immer im bestehenden Geschäftsmodell liegen. Das ganze Buch spricht an keiner Stelle über radikalere Veränderung bzw. über sehr intensives Explorieren, wie es z.B. Design Sprints oder ähnliche Ansätze vorleben. Sicherlich eine gewollte Auslassung.

Mit dieser Beschränkung ist Team Topologies jedoch keine Hilfe, wenn es um radikalere Veränderungen geht. Disruptive Innovationen sind demnach doch wohl eher außerhalb der bestehenden Organisation zu suchen – in Startups, Business- oder Produkt-Inkubatoren, oder über den Hinzukauf von Fremdsoftware. Der strategische Einsatz dieser Mittel kann das notwendige Momentum generieren, das aus der eigenen Organisation heraus nicht entstehen kann.

Eine Lesart von Team Topologies wäre es, diese Ansätze als Ausprägung von regulären Team-Topologien zu sehen. Während die Interaktionen recht naheliegend und universell einsetzbar sind, ist dies bei den Topologien wohl eher ein sogenannter “Stretch”.

Organisationsveränderungen sind schwer

Anhand des Beispiels der Einführung von DevOps Patterns in dem Transunion Beispiel (Kapitel 4 und 8) im Buch wird besonders deutlich:

“As it happened, this transition took quite a bit longer than we initially thought (three years longer!) as we started to move our services to Azure; but by early 2018, we had made this work [...].”
Pais & Skelton: "Team Topologies: Organizing Business and Technology Teams for Fast Flow"

Von 12 Monaten auf 4 Jahre: Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass die Veränderung der Teams und deren Interaktionen über mehrere Jahre weit weg ist von ultraschnellen Feedback Cycles, wie sie im Feld von Business Model Testing notwendig sind. Ein schöner Kontrast zum Team Topologies Buch ist die Sammlung gerade dieser Testing Patterns im Buch "Testing Business Ideas: A Field Guide for Rapid Experimentation" von Alex Osterwalder und David Bland.

Es ist dann auch sehr klar: Wer denkt ernsthaft, dass die Mittel aus Team Topologies in diesem Bereich eine Hilfe sein können? Wie können Organisationsveränderungen (mehrere Teams, mehrere Jahre, größere Teamveränderungen) agil genug sein, um rapide zu innovieren?

Inkrementell kaputt innoviert

Team Topologies ist ein wertvolles (sprachliches und konzeptionelles) Mittel, beschränkt sich aber vorwiegend auf Innovationen im Hier und Jetzt (McKinsey Horizont 1+2). Im Horizont 3 findet Team Topologies keine Antworten.

Diese Beschränkung ist kein Fehler, sie ist eher Ausdruck eines Trends, dem Trend zur Optimierung in bestehenden Bahnen. Was aber passiert, wenn größere Zusammenhänge dadurch nicht mehr erkannt werden? Ein gutes Beispiel dafür ist die deutsche Autoindustrie: Über Jahrzehnte hat man sich auf das Innovieren in Horizonten 1+2 beschränkt. Deutschland hat die besten Spaltmaße, die innovativsten Motoren und all das in der erfolgreichsten Sparte unserer Wirtschaft. Dabei haben die deutschen Autobauer:innen nie gefragt: Was bedeutet für die Menschen eigentlich Mobilität?

Fazit

Mit Hilfe von Team Topologies haben wir eine tolle Sprache gefunden, mit der wir über Teams und ihre Zusammenhänge in Organisationen sprechen können. Das verändert vieles und schließt an die Diskussion rund um DevOps und Vertikalisierung an.

Innovationen werden von Team Topologies im Zentrum des Werks gesehen. Dabei beschränkt sich Team Topologies auf die Innovationen, die eng anliegend an der bisherigen Wertschöpfung stehen. Hier gibt es viel ergänzende Wertschöpfung zu finden und zu heben. Für diesen Zweck ist für mich Team Topologies eine sehr wertvolle Ergänzung.

Aber Team Topologies ist kein goldener Hammer, der alle Probleme einer Organisation löst. Wenn es um radikalere oder schnellere Innovationen geht, wenn die Risiken hoch sind, dann ist ein Deployment in die eigene Ablauforganisation weniger ratsam. Also greift man doch lieber zu den bewährten Methoden aus den Werkzeugkästen von Product Discovery, Business Model Generation, Value Proposition Design, Design Thinking etc. Und ganz vielleicht ist die nächste tolle Idee schon bald Realität.

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