Wir haben in Bezug auf klimafreundliches Handeln kein wirkliches Erkenntnisproblem mehr, sondern ein Verhaltensproblem. Rund 80% aller Deutschen halten Klimaschutz für sinnvoll und sind bereit, ihr Verhalten zu verändern – nur rund 50% tun es wirklich, zeigt eine Studie des Umweltbundesamtes vom letzten Jahr.
Und wie uns die Hirnforschung lehrt, ist es zutiefst menschlich und meist auch sinnvoll, dass wir an erlernten Verhaltensweisen und ausgeprägten Gewohnheiten festhalten. Schließlich treffen wir täglich rund 20.000 Entscheidungen – die meisten zum Glück unbewusst – wie der Hirnforscher Ernst Pöppel feststellt. Es würde uns verrückt machen und das Gehirn viel zu viel Energie kosten, wenn wir all die Kleinigkeiten des Alltages bewusst entscheiden würden. Oder willst Du ganz bewusst entscheiden, ob Du abends Zähne putzt, welchen Gang Du beim Autofahren einlegst und ob Du beim Lesen dieses Artikels sitzt, stehst oder gehst? Unser Körper schüttet sogar Belohnungsstoffe aus, wenn wir uns so verhalten, wie wir das schon mal getan haben. Wir fühlen uns dann gut.
Wenn wir unser Verhalten ändern wollen, braucht es also einige verdammt gute Tricks. Einer davon ist Nudging – also „anstupsen“. Breitere Bekanntheit erlangt hat es im Jahr 2017, als die amerikanischen Wissenschaftler Richard Thaler und Cass Sunstein für Ihre Forschungen in diesem Bereich den Wirtschafts-Nobelpreis bekommen haben. Nudging bezeichnet kleine Anstöße, die ein bestimmtes Verhalten fördern – z.B. weniger Energie zu verbrauchen. Charmant ist, dass es ohne Anordnungen, Verbote und Geld auskommt.
Schon mal erlebt? Bestimmt. Wir werden im Alltag häufig genudged. Die blinkende Tempo-Anzeige, die uns mit einem grünen Smiley lobt, wenn wir unter 50 km/h fahren. Der Fliegenaufkleber im Pissoir, der dafür sorgt, dass der Boden der Toilette sauber bleibt. Die aufgeklebten Fußspuren am Boden, die unseren Kindern den richtigen Weg über eine gefährliche Kreuzung weisen.
Aber warum funktioniert das so gut und wie kann es zum Schutz unserer Umwelt beitragen?
Nudging macht sich zu Nutze, dass wir Menschen einige wissenschaftlich gut nachgewiesene Verhaltenstendenzen haben, um uns das Leben einfacher zu machen. Es trickst unser Gehirn quasi mit den eigenen Mitteln aus. Wissenschaftlich nennt man diese Verhaltenstendenzen Bias oder Heuristiken. Hier sind drei ganz zentrale Tendenzen, die der Entwicklung besonders wirksamer Nudges zugrunde liegen.
1. Trägheit
Wir neigen dazu, bei einem Verhalten oder einem Produkt zu bleiben, auch wenn der Aufwand eines Wechsels gering und der Nutzen des Wechsels groß ist. Darauf baut einer der wohl effektivsten Nudges auf. Die Voreinstellungen („Default-Regeln“). Wenn Du Papier sparen willst, wäre ein guter Nudge, die Voreinstellung „doppelseitiges Drucken“ zu setzen.
2. Framing
Die inhaltliche Darstellung, d.h. das Framing der Informationen, beeinflusst unsere Entscheidungen enorm. Lebendige und auffällige Informationen haben größeren Einfluss als abstrakte. Je einfacher und verständlicher die Information, desto eher wirkt sie verhaltensleitend. Ein Nudge zur Nutzung dieser Tendenzen wäre beispielsweise, gesunde Salate oder vegetarische Produkte vorne aufs Buffet zu stellen. Oder den abstrakten Appell zum „Papier sparen“ in greifbare Informationen zu übersetzen: „Jede Seite nicht gedrucktes Papier spart ein Glas Wasser für die Herstellung“. Oder der Duschkopf, der unseren Wasserverbrauch anzeigt und ein Bild mit Eisbären, die bei zu langem Duschen von ihrer Scholle ins Wasser fallen.
3. Soziale Einflüsse
Soziale Normen und das Verhalten anderer Menschen spielen für unser Verhalten eine zentrale Rolle. Die Sorge um die eigene Reputation ist eng mit der Befolgung von sozialen Normen verbunden. Ein effektiver Nudge nutzt dies, indem er soziale Referenzpunkte setzt. Beispielsweise ein Aufkleber im Hotelbad: „80% aller Hotelgäste nutzen ihr Handtuch mehrfach“. Oder der Hinweis in der Stromrechnung, dass 70% aller anderen 2-Personen-Haushalte weniger Energie verbrauchen – verbunden mit Energiespartipps.
Klingt das für Dich zu sehr nach Manipulation? Deshalb gibt es einige zentrale Regeln für „gutes Nudging“, die negative Manipulation vermeiden:
- Die genudgte Person behält immer die Wahl und kann den Nudge auch umgehen.
- Das neue Verhalten ist höchstwahrscheinlich in ihrem Interesse bzw. im Interesse der Gemeinschaft oder Umwelt. Es verschafft nicht Einzelnen einen persönlichen Vorteil oder einem Unternehmen mehr Umsatz.
- Der Nudge ist transparent.
Alles andere bezeichnen Sunstein und Thaler als „Sludging“ (Schlamm) - quasi die dunkle Seite des Nudging.
Der große Charme des Nudging ist, dass es so ein schlankes Instrument ist, kein Geld kostet und sofort wirkt. Die Effekte? Rund 20% Energieeinsparung beim Duschkopf mit den Eisbären. Aus der Erfahrung mit vielen Nudges kann man zusammenfassen: 10% Einsparung sind im Mittel bei Nudging drin. Lohnt sich mal drüber nachzudenken? Oder doch eher: Einfach machen!
Wer neugierig geworden ist und tiefer einsteigen mag, dem empfehle ich die Veröffentlichungen von Richard Thaler und Cass Sunstein oder Daniel Kahneman. Und natürlich die Seite www.green-nudging.de von @energiekonsens, die viele weitere Beispiele von Nudges enthält, die gemeinsam mit Unternehmen entwickelt wurden. Oder einen Workshop mit mir, um Nudges für Verhaltensthemen in Euren Unternehmen maßzuschneidern. Denn Nudging wirkt kontextorientiert besonders gut. Weitere Informationen findest Du hier: www.rasmussen-changes.de.
Dr. Cornelis Rasmussen ist Organisationsentwickler, Moderator und Coach. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Gestaltung und Begleitung von Veränderungsprozessen von Organisationen und Menschen. Er hat dabei mehr als 25 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Unternehmen und Bereichen gesammelt. Thematisch arbeitet er in den Schwerpunktbereichen Nachhaltigkeit, Mitarbeitendeneinbindung, Kulturveränderung und Strategieentwicklung.
Quelle: rasmussen changes