Am letzten neuland Tag haben wir als Team über unser Experiment zum Thema Homeoffice berichtet. Die Aufgabe, die Erfahrungen, unsere Erkenntnisse und die nächsten Schritte findet ihr hier.
Remote arbeiten ist Teil unserer Realität. Wir kennen viele Formen der räumlich getrennten Arbeit: unser Team in Bremen ist für den Kunden remote, der Kunden-PO und die Entwicklerteams des Kunden sind für uns remote. Kolleginnen, die extern und / oder auf Zeit das eine oder andere Team verstärken, arbeiten oft nur teilweise vor Ort (beim Kunden oder bei uns). Lebensphasen, die mit dem „9to5-Approach“ nicht vereinbar sind, oder Pendelzeiten, die man nicht täglich auf sich nehmen kann, müssen mit der Arbeit vereinbart werden. Alle genannten Gründe brechen, beugen oder ergänzen den von uns bevorzugten Arbeitsstil „alle an einem Ort“.
Die Herausforderung
Die Herausforderungen durch remote-Arbeit sind in unserem Geschäftsmodell speziell. Sobald Kolleginnen regelmäßig nicht vor Ort sind, fällt auf:
- ... dass osmotische Kommunikation wichtiger ist als geschriebene Dokumente.
- ... dass die Einarbeitung im Team durch erfahrene Kolleginnen face-to-face und spontan bei Bedarf funktioniert.
- ... Gemba Communication immer und überall adhoc praktiziert wird.
- ... Architekturdiskussionen und -entwicklung im alltäglichen Tun stattfinden.
- ... wir immer wieder zentrierende Kontaktgelegenheiten schaffen, die sich mit den dann sinnvollen Inhalten füllen.
- ... die Kolleginnen vor Ort die Kommunikation mit dem Kunden treiben.
- ... wir Krisenmeldungen im Team entgegennehmen und dann unter den anwesenden Kollegen dispatchen.
Das Ergebnis: wer nicht da ist, fehlt dem Team, und - genauso wichtig - den Kolleginnen fehlt auch etwas. Eine Lösung musste her. Das Team hatte zunächst zwei Homeoffice-Kollegen. Unser Kollege Markus L. ist nach Ahrensburg gezogen und unser zweiter Markus U. ging später in die entgegengesetzte Himmelsrichtung nach Hannover. Beide spielen als Kollegen im Radius Führung herausgehobene Rollen im Team und für den Kunden und waren nur noch an 3 Tagen in Bremen präsent. Ausgedehntes Telefonieren, organisatorisches Bündeln von Terminen, die intensivere Kommunikation über Jira-Tickets - es ging schon irgendwie. Wichtig war, die Homeoffice-Tage von beiden Kollegen zu synchronisieren, so dass die Abwesenheiten mindestens an einem Tag zusammenfielen. Die Wahrnehmung im Team ging von „keine negativen Auswirkungen“ bis hin zu „wir kriegen überhaupt keine Termine mehr hin“.
Am Anfang des Jahres 2018 ergaben sich bei insgesamt 1/3 der Kolleginnen im Team Wünsche nach remote-Arbeitsmöglichkeiten - aus den verschiedensten und immer ehrenwerten Gründen (siehe oben). Unsere ad hoc Lösung stieß an Grenzen - es gab Redebedarf.
Das Experiment
Wir haben uns zusammengesetzt und in einem Meeting einige einfache Regeln aufgestellt. Wir halten uns im Team alle daran. Ich liste hier die inzwischen durch Praxis ergänzte aktuelle Fassung auf:
- An zwei Tagen in der Woche kann jeder im Team Homeoffice machen.
- Wir stellen sicher, dass der Kunde keinen Unterschied zwischen der Arbeit zu Hause und der Arbeit bei neuland erlebt.
- Wir sorgen dafür, dass die Kommunikationshürden im Team so niedrig wie möglich sind und versuchen alle, sie immer wieder zu überwinden.
- Wir sorgen dafür, dass wir zu Hause genauso gut arbeiten können wie im Office, oder besser.
- Ob jeder Homeoffice-Tag geht oder doch Präsenz vor Ort nötig ist, hängt auch von den aktuellen Anforderungen der Arbeit am Produkt ab - und vice versa.
- Außerplanmäßiges Homeoffice bleibt, wie auch die teaminterne Zeitautonomie (Minus- und Plusstunden) jederzeit möglich.
- Wenn jemand die Präsenz einer Kollegin vor Ort braucht, wird diese hergestellt und der Termin entsprechend verschoben. Und das passiert ohne Heben der Augenbrauen oder Runzeln der Stirn - und genauso auch im umgekehrten Fall.
Wir alle wissen: Vereinbarungen und Appelle alleine lösen noch keine Probleme, daher haben wir beim oben genannten ersten Meeting Todos verteilt, um Homeoffice auch technisch zu ermöglichen. Im Kern sollte für das Team und für jeden Einzelnen ein „Homeoffice-Paket“ definiert werden, mit dem die Beachtung der Regeln erst möglich wird. Dazu haben wir echte Arbeitssituationen über die schon vorhandenen Kanäle remote zu bewältigen versucht. Dort, wo es nötig war, haben wir (z. B. beim Videokonferenz-Tool oder der Kapazität der Telefonkonferenzräume) nachjustiert.
Auch hier liste ich den jetzt aktuellen Stand (unter Berücksichtigung der Ergebnisse nach den ersten Iterationen) auf:
- Jede Kollegin braucht einen vernünftigen und v. a. ungestörten Arbeitsplatz, um auch zu Hause produktiv zu sein.
- Wir brauchen stabile Netzanbindungen mit ausreichender Bandbreite.
- Der Arbeitsplatz zu Hause sollte ähnlich ausgestattet sein wie im Office (wer an 2 Bildschirme gewöhnt ist, tut sich schwer, nur mit einem Notebook zu arbeiten).
- Ein gutes Telefon (das auch umgestellt wird), ein gutes Headset und Kamera sind wichtig.
- Die IMS Channel (bei uns Mattermost) müssen vorhanden sein und bewusst genutzt werden.
- Für jedes Team braucht es ausreichend Telefonkonferenzräume, sowie
- ein belastbares Videokonferenzsystem für Pairing, Standup, Planning und Review.
Die Erfahrungen
Wir sehen die gemeinsame Arbeit an einem Ort immer noch als das bevorzugte Modell an. „Ich hab gerne Menschen um mich …“, sagte ein Kollege so treffend. Trotzdem konnten wir einige Probleme der remote-Arbeit in unserem Team mildern:
- osmotische Kommunikation und Gemba Communication simulieren wir mit dem ausführlichen Gebrauch der Mattermost Channels, der Telefonie in Konferenzräumen (als opt-in-Meeting) und dem Videoconferencing.
- für den Kunden ist durch das Homeoffice-Paket kein Unterschied zwischen Kolleginen im Homeoffice oder im neuland Office wahrnehmbar. Die wechselnde Rolle der Incident Mistress kann von Kolleginnen vor Ort oder im Homeoffice übernommen werden. Wir achten darauf, dass das auch so passiert.
- Planung, die Standups oder spezielle Besprechungstermine funktionieren durch Videoconferencing als opt-In-Meetings auch remote sehr gut.
Keine echte Lösung im remote-Konstrukt haben wir für die Einarbeitung, die Architekturdiskussionen und die Retrospektiven gefunden. Hier bleiben Pairing und zentrierende Kontaktgelegenheiten vor Ort die Mittel der Wahl.
Im Saldo stellen wir fest, dass die remote-Situationen gut funktionieren können, wenn man sie aktiv zum Thema macht. Das haben wir getan und sind in der Konstellation mit zwei Kernteams (eines beim Kunden, eines bei uns und den Satellitenkränzen um beide Kerne) für den Moment zufrieden. Und neue Herausforderungen werden wir heute mit mehr Zutrauen in zunächst ungewohnte Lösungen angehen als das früher der Fall war.
Die wichtige Ausnahme ist oben erwähnt: das Brummen im Bienenkorb (also die osmotische Kommunikation) kann man generell durch Mattermost, Telefon und Screensharing imitieren. Wirklich wichtige Phasen und Termine wollen wir jedoch weiter mit vor-Ort-Präsenz verbinden.
Wie immer gilt: Einzelschicksale sind besonders bedauernswert. Oder besser: solange das Homeoffice Einzelfall und Ausnahme bleibt, sollte man es auch so behandeln. Eigene Regeln erübrigen sich und die unabweisbaren Belastungen wird man - als Team und als betroffene Kollegin - geduldig ertragen.
Die nächsten Schritte
Wir haben die Ergebnisse unseres Experiments beim letzten neuland-Tag vorgestellt und sind auf große Resonanz gestoßen. Wie immer haben wir festgestellt, dass es in anderen Teams ähnliche Fragestellungen gibt. Von verfestigten individuellen Regeln wurde berichtet, bei teamweit beschlossenen Lösungen sind wir Vorreiter oder Exot (je nach Standpunkt …).
Neue Experimente stehen an, denn über Zeitzonen hinweg oder im Block aus dem Surfcamp in Palau remote zu arbeiten wird zwar als Gedankenspiel diskutiert, ist aber noch keine reale Option. Ob wir demnächst auch mit dedizierten nearshore-Teams arbeiten werden, wird sich noch entscheiden. Unser neuland Beiboot mag ein Hinweis auf diese Option sein.