Wir wollen die "Black Box" Gehaltsgruppe weiter öffnen und zeigen, mit welchen Gedanken, Fragen und Problemen wir uns in dem gemeinsamen Prozess der Gehaltsmodellentwicklung befassen. Dabei geht es uns nicht darum, Zwischenergebnisse zu präsentieren, sondern die Möglichkeit zur gedanklichen Beteiligung aller Interessierten zu schaffen.
Spannungsfelder: wo knirscht es?
Wenn es ums Geld geht, dann wird das Innerste einer Firma und der in ihr tätigen Personen getriggert. Besonders bei Vergütungsfragen werden die in jeder Kultur und Arbeitsweise ohnehin vorhandenen Spannungsfelder erst richtig evident. Während unserer Erkundungsphase haben wir das als Gehaltsgruppe genauer identifiziert und für uns reflektiert:
Entscheidungen mit vs. übereinander: In unserer täglichen Arbeit führen wir als selbstorganisierte Teams gemeinsam Entscheidungen herbei, sprich wir überlegen die vielversprechendste Lösung (z.B. für ein Feature oder Bugfix) und entscheiden, wie es umgesetzt wird. Anders verhält es sich jedoch bei Gehaltsfragen, wobei jemand für / über jemanden entscheidet bei gleichzeitig oft empfundener Unklarheit darüber, wie genau die Entscheidung für oder gegen eine Gehaltsanpassung zustande gekommen ist.
Mehr Komplexität zulassen: Das Radienpapier war der erste Wurf für eine Objektivierung der Kriterien für die Gehaltsbildung. Es war aber insbesondere an der Gruppe der Softwareentwickelnden orientiert und passte mäßig bis gar nicht auf andere Berufsgruppen, wie z.B. die Projektleitenden oder die Verwaltung. Außerdem projizierte es Unterschiede nur auf eine Dimension (die "Radien") und ermöglichte keine mehrdimensionale Entwicklung in differenzierteren Dimensionen wie z.B. technische Expertise, Mentoring oder Organisationsentwicklung.
Unterschiede von Wertbeiträgen: Es ist schwer zu objektivieren, wodurch sich der Wert der Fähigkeiten von Angestellten für neuland bemessen lässt und welche Bedeutung dieser Wert bei der Gehaltsfindung haben soll. Auch ist der Einfluss des Marktumfelds von neuland Teil dieser Debatte von "Wert". Qualitative Wertdimensionen wie "Teambuilding als Fähigkeit" erfordern subjektive Interpretationen, die immer wieder zu unterschiedlichen Selbst-/Fremdeinschätzungen führen und damit ein Quell von Unzufriedenheit sind.
Im Ergebnis führen die skizzierten Spannungsfelder zu Frustrationen und Unzufriedenheiten bei den Beteiligten, sowohl bei denen, die Gespräche führen als auch bei den Mitarbeitenden, die über ihr Gehalt sprechen möchten und vielleicht leer ausgehen oder weniger akzeptieren müssen, als sie sich erhofft oder gefordert hatten. Wie lassen sich Auswege finden, die Spannungen abzumildern oder gar aufzulösen?
Erkundung: wie machen es andere?
Um nicht vorschnell irgendwelche Kriterien aufzustellen und diese in einem Gehaltsmodell zu verarbeiten, haben wir uns bewusst einige Modelle anderer Organisationen unter die Lupe genommen (hier ohne Firmenname), um zu verstehen und uns zu inspirieren zu lassen wie sie ihre Vergütungsfragen angehen. Neben verschiedenen “Baukastensystemen” (= bestimmte Komponenten, die zusammen ein Gehalt bilden) haben wir u.a. folgende Gehaltsmodelle gesichtet. Diese sollen exemplarisch in ein paar Grundzügen skizziert werden:
Selbstbestimmtes Gehalt: Es besteht zwei Mal pro Jahr die Möglichkeit, an einer Gehaltsrunde (April/Oktober) teilzunehmen. Nach Einsichtnahme in die Gehaltstabelle (mit Infos zur Position, Firmenzugehörigkeit, Berufserfahrung) kann der Gehaltswunsch zusammen mit 3 Kollegen (davon einer selbstgewählt) reflektiert werden (eher informell genutzt: technisches Können, Weiterentwicklung, Einbringen in die Firma etc.). Die sich daraus ergebenden Gehaltswünsche werden gesammelt und an die Geschäftsführung (hat Vetorecht) zur Genehmigung kommuniziert. Im nächsten Firmenmeeting nach der Gehaltsrunde musste jede:r die Gehaltsanpassungen transparent machen und sagen wer konsultiert wurde.
People Squad: Eine Gruppe von über Listenwahl gewählten Kollegen, so genannte People Squads (Dauer von 2 Jahren, 1-2 Tage pro Arbeitswoche, Austausch 50% der Gruppe) definiert den Prozess und entscheidet über Gehalt. Zweimal pro Jahr finden Gehaltsrunden statt, wobei einmal pro Jahr die Bewerbung von Mitarbeitenden um eine Anpassung möglich ist. Die People Squads kümmern sich regelmäßig (alle 1-2 Monate) um ein Gespräch mit Kollegen, um daraus einen nachhaltigen und aktuellen Überblick über die individuelle Entwicklung zu bekommen. In Anwesenheit des People Squads führt die an einer Gehaltsanpassung interessierte Mitarbeitende eine Konsultation mit einem Kritiker, jemandem auf gleicher Stufe, jemandem einer höheren Stufe sowie einem Befürworter durch. Kriterien sind u.a. unternehmerisches Denken, Wirksamkeit im System, persönliche Weiterentwicklung, Kunden-/Kollegenfeedback. Nach der Konsultation entscheiden die People Squads über die Anpassung und teilen diese der jeweiligen Bewerber:in mit entsprechender Begründung mit.
Einheitsgehalt: Bei diesem vermeintlich einfach erscheinenden Ansatz bekommen alle Mitarbeitenden jeweils ein Gehalt in gleicher Höhe, wie die Bezeichnung erahnen lässt. Gründe dafür liegen in der zu erwartenden Komplexitätsreduktion bei der Gehaltsfindung und Aufwandsminimierung in Prozessen rundum Gehalt. Annahmen bzw. Motivationen von Firmen hierzu sind, dass bei gleichem Gehalt alle Mitarbeitenden für die gleichen Ziele arbeiten und noch mehr gemeinsam an einem Strang ziehen. Oder es wird gesagt, dass beim Wert der Menschen kein Unterschied gemacht werden soll, auch wenn sich der Marktwert vom bezahlten Gehalt unterscheiden sollte.
Reflektion: ließe sich was mitnehmen?
Es mag verführerisch sein, direkt eines der vielen New Pay Gehaltsmodelle zu übernehmen und für das eigene Unternehmen zu adaptieren. Aber das ist nicht möglich und wir finden das auch nicht richtig. Denn wir wollen uns mit den eingangs erwähnten Spannungsfeldern bei der Entwicklung eines zu uns passenden Modells auseinandersetzen. Die Diskussionen lassen sich hier verknappt verständlicherweise kaum adäquat nachzeichnen, denn dazu sind sie zu tiefgreifend, vielgestaltig, intensiv.
Daher hier nur willkürlich und autorensubjektiv exemplarisch herausgegriffen ein paar Aspekte, völlig unabhängig davon, ob sie für das noch zu entwickelnde Modell tatsächlich verwendet werden.
Beispielsweise wurde als ebenso attraktiv wie kritisch empfunden, dass sich in einem der Ansätze eine dedizierte Rolle um das Thema Gehalt kümmert. Vielleicht wird damit alles systematischer und nachhaltiger? Oder ist das zu viel Verantwortung für Kolleg*innen in dieser Rolle und sollte es bei einer klaren Adresse (z.B. der Geschäftsleitung bleiben)? Transparente Gehälter ermöglichen uns gegenseitiges Vergleichen und Einordnen. Aber fühlen wir uns wirklich wohl damit und was macht das mit uns, wenn wir gehaltsbezogene Infos voneinander haben? …und viele solcher Fragen mehr.
Alleine diese Aspekte deuten an, dass die unmittelbare und klare Beantwortung, was wir bei der Gestaltung eines Modells genau mitnehmen wollen, herausfordernd ist. Und weil das so ist, erarbeitet die Gehaltsgruppe stets zunächst Zwischenergebnisse und präsentiert diese dann dem Soundingboard (bestehend aus rund 20 neuland-Mitarbeitenden). Das Soundingboard wiederum gibt sein Feedback zur Modellentwicklung, Ideenskizzen, in Form von Befragungen, Unterschieden in den Entwicklungspfaden. Aus diesem Zusammenwirken von Gehaltsgruppe (Ergebnisse), Soundingboard (Feedback) und Mitarbeitenden (Stimmungen) soll das neue Gehaltsmodell für neuland entstehen.