neuland ist Dienstleister - wir arbeiten für Kunden. Wir organisieren Beziehungen zwischen getrennten sozialen Systemen. Und wir müssen uns gegenseitig verstehen. Das ist möglich.
Im ersten Teil versucht dieser Beitrag, die aktuellen Bedingungen der Kommunikation zwischen Dienstleister und Kunden zu skizzieren. Im zweiten Teil der Serie werden die Entwicklung von Beziehungen zwischen unseren Kunden und den neuland Teams und einige Missverständnisse darin zum Thema gemacht. Im dritten Teil versucht der Begriff der Selektiven Integration einen Lösungsraum zu eröffnen, in dem Differenz produktiv verstanden wird.
Gesprächsbedarf von Anfang an ...
neuland entwickelt als unabhängiger Dienstleister spezialisierte Software im Kontext des Handels. Unsere Kunden brauchen für ihre fachlichen Fragestellungen eben diese spezialisierte Software. Wir arbeiten in dedizierten neuland Teams für unsere Kunden, und die bezahlen uns dafür. Mit dem erzielten Ertrag unterhalten wir die Teams, schaffen produktive und angenehme Arbeitsbedingungen für hoffentlich alle Kolleginnen und Kollegen, betreiben und gestalten unser Unternehmen - auch jenseits der Teams - und verhandeln mit der Eigentümerseite (direkt und indirekt) über auskömmliche Renditen. In den sowie jenseits der Teams entwickeln und erweitern wir unser Lösungsportfolio über die spezialisierte Lösung hinaus und können so bessere Software für bestehende und neue Kunden anbieten. Alle Partner profitieren.
Das klingt einfach. Meistens ist es das auch. Und es bleibt in der Beziehung zwischen einem neuland Team und einem Kunden über längere Zeiträume und verschiedene fachliche Aufgaben so. Trotzdem lassen sich im Zeitverlauf Verwerfungen und Herausforderungen beobachten, die es zu bewältigen gilt, um das einfache und robuste Prinzip der eng geführten Kommunikation zwischen Unternehmen via Leistung und Gegenleistung anschlussfähig zu halten.
Als diejenigen, die über das Unternehmen reflektieren, fragen wir uns, ob sich aus der inzwischen gut zweistelligen Zahl erlebter Konstellationen „Dienstleister in der Softwareentwicklung und Kunde im Handel“ unter den Bedingungen digitaler Transformation erklärende und beschreibende Muster für die Entwicklung dieser Beziehungen ableiten lassen. Und - viel entscheidender - ob sich Hinweise finden lassen, wie die kooperative Ausgestaltung der Beziehung(en) zwischen neuland und Kunde auch zukünftig nachhaltig gelingen kann.
Für uns neuländer ist Autonomie und Selbstorganisation von Anfang an Thema in der Kundenbeziehung. Die geläufige Beherrschung agiler Inhalte und Prozesse sowie die Ausrichtung an der Schaffung von Mehrwert ist Teil unserer DNA. Handlungsschnelligkeit, Business Agility und Responsivität sind unmittelbare Ergebnisse dieser Orientierung - Nebeneffekte sozusagen. Damit erfüllen wir wichtige Vorbedingungen für die Performance von Softwareentwickelnden und Händlern. Genauso oft stehen wir allerdings vor Herausforderungen. In jedem Fall scheint die Betrachtung der Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg hilfreich und nötig.
Es geht uns dabei immer auch darum, wie wir uns als Unternehmen in diesen Beziehungen entwickeln. Wir sind in hohem Maße außengesteuert ("extern refrenziert") und unsere Binnenstruktur ergibt sich in weiten Teilen als Übersetzung aus den Reizen unserer Umwelt - vermittelt über die Teams. neuland ist das, was es in den Beziehungen zu unseren Kunden (und Eigentümern) ist. Wenn sich diese Beziehungen ändern, ändert sich auch unser Unternehmen.
Anmerkung: In diesem Artikel werden die Begriffe „neuland“, „Dienstleister“ und „Lieferant“ synonym verwendet. Als „Kunden“ bezeichnen wir den neuland Kunden, also den E-Commerce Händler oder ein Subsystem aus diesen Unternehmen. Wenn wir Bezug auf den Kunden unserer Kunden (also den Konsumenten von Waren und Dienstleistungen) nehmen wollen, sprechen wir vom „Endkunden“.
... in der Transformation
These 1: Digitale Transformation bedeutet für Unternehmen nicht nur eine kleine Delle der tayloristischen Produktionsweise. Es wird - jedenfalls soweit wir heute schauen können - nicht wieder so, ‚wie es mal war‘. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen Kunde und Dienstleister.
Eine für längere Zeiträume gesicherte wirtschaftliche Auswertung von Geschäftsmodellen ist Vergangenheit. Economies of Scale, Rationalisierung und Produktivitätssteigerung, kurz: der Fokus auf Effizienzgewinne, markiert nicht mehr das zentrale oder einzige Feld ökonomischen Erfolgs. Im Gegenteil wandeln diese sich eher zur notwendigen, aber allein nicht mehr hinreichenden Basiskompetenz wirtschaftlicher Akteure.
In der Transformation nimmt der Blick auf die Economies of Scope, die beschleunigte Kreation, Validierung, Entwicklung und Anpassung neuer Geschäftsmodelle immer größeren Raum ein. Taylorismus funktioniert als Zeitphänomen nur in einer auf Dauer gestellten, privilegierten Marktumgebung. Hier können Optimierungen wie Arbeitsteilung, Massenproduktion und organisatorische Zentralisierung wirtschaftlich positiv wirken. In diesem Sinne sind die Organisationsformen im Taylorismus (also auch Unternehmen) „träge“.
Die Effizienz und Effektivität im Blick zu behalten und mit Blick auf die Innovationen in je geeigneter Form zu bespielen ist u.E. nach die Bedingung für wirtschaftlichen Erfolg des Handels in der dynamischen Umwelt digitaler Transformation.
Auch die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen steht damit vor neuen Herausforderungen. Generalisierte Beziehungen zwischen Dienstleistern und Kunde werden zur Ausnahme. Weder doppelte Kontingenz über den Markt noch ein dauerhaftes Mandat der Zusammenarbeit sind garantiert. Der neue Lösungsraum unternehmensübergreifender Beziehungen beschreibt sich durch Selektivität, Flexibilität und das Umgehen mit Unterschiedlichkeit - also als Kommunikation.
These 2: In den Beziehungen zwischen Kunden und Dienstleistern kommt es zu starken Friktionen in der Zusammenarbeit, wenn die beiden Partner sich in unterschiedlichen Umwelten wähnen (also z.B. dynamisch, transformational vs. träge, tayloristisch) und die dazugehörigen Verhaltensmuster anwenden.
Dieses Problem scheint besonders verschärft aufzutreten, wenn Muster aus trägen Sichten in dynamischer Umwelt angewendet werden. Die Kernpunkte der Kommunikation in und zwischen Systemen fehlen: Vergewisserung, Aushandlung und Synchronisation.
Auf der Erscheinungsebene scheint der Widerspruch einfach. Effizienz ist die Hauptstrategie der Unternehmen in träger Umwelt, wohingegen in dynamischen Kontexten die Suche nach Effekt und Wirkungen wichtiger ist. Das „aneinander vorbei reden“ muss so fast unvermeidlich anmuten.
Die grundsätzliche Mechanik scheint genereller: auch die sich im Gesamtsystem Wirtschaft begegnenden Unternehmen müssen sich bezogen auf „Eigenzeiten“, „Bedeutungen (Semantiken)“ und „Kulturen“ (als Ausprägungen der Sinndimensionen Zeit, Sachlichkeit und Soziales) ins Benehmen setzen. Wir wenden in diesem Beitrag diese Dimensionen an.
Die Systemtheorie nennt neun Leitprozesse, die in Organisationen im Allgemeinen und Unternehmen im Besonderen stattfinden. Sachlichkeit: Vernetzung, Entscheidungsorientierung, Qualität, Soziales: Personal, Entscheider, Leitungskomplexität, Zeit: Bearbeitung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Siehe dazu: metatheorie-der-veraenderung.info/wpmtags/sinndimensionen).
Wir vermuten, dass damit nicht gemeint sein kann, „die Ausprägung der anderen Organisation zu übernehmen“. Vielmehr sind Differenzen zwischen Organisationen produktiv (anschlussfähig) zu machen. Das ist prinzipiell immer möglich, allerdings kein Selbstgänger: werden die notwendigen Artefakte nicht entwickelt und gepflegt, entstehen unüberbrückbare Sprach- und Verständnisbarrieren - und spätestens dann geht es auch zwischen Dienstleister und Kunde schief.
Zusätzlich verkomplizieren Strukturen mit Subsystemen die Situation. Das Business-Development beim Kunden entwickelt andere Begriffsapparate als das Tagesgeschäft oder das Management der Cash-Cows. Die jeweiligen Zeitkonstrukte sind unterschiedlich, unterschiedliche Semantiken existieren nebeneinander, und logischerweise entstehen in den unterschiedlichen Subsystemen auch unterschiedliche Kulturen.
Unsere Teams sind hier "im Nachteil". Sie sind homogene Entitäten mit Mitgliedern aus verschiedenen Gewerken, sie sind cross- und nicht mono-funktional. Damit bieten unsere Teams Kontaktflächen zu unterschiedlichen Subsystemen und sehen sich im Verlauf der Zusammenarbeit oft in die Rolle der Unterhändler oder Übersetzer zwischen den Subsystemen beim Kunden gestellt. Es kann nicht verwundern, dass sich die Teams - da sie ohne Mandat in diese Rolle schlittern - mit dieser Aufgabe häufig überfordert sehen.
neuland wird in diesem Sinne unmittelbar von den Leitprozessen beim Kunden betroffen, ohne direkt an den Aushandlungen teilnehmen zu können. Ob diese Prozesse sich mit den Begriffen träge, tayloristisch und dynamisch, post-tayloristisch produktiv systematisieren ließen, ist eine spannende, hier aber nur implizit anzureißende Fragestellung.
These 3: In der dynamischen Umwelt der digitalen Transformation muss besonderer Wert auf den Umgang mit Unterschiedlichkeit und Differenz gelegt werden, hier liegen zentrale Voraussetzungen für Innovation, Resilienz und Wirksamkeit.
Dynamisch sind Umwelten, in denen das Marktgeschehen durchlässig und unsicher ist. Transformationale Produkte, die nachhaltige Elektrifizierung der Geschäftsmodelle und die immer schneller aufeinander folgende Entwicklung und Auswertung von Produkt- und Dienstleistungen stehen für Dynamik. Die Kommunikation über Unternehmensgrenzen hinweg ist dabei nie auf Dauer gestellt, generalisiert oder fix codiert, sondern findet eher als Bündel loser Kopplungen statt.
Granovetter beschreibt diese Weak Ties im Gegensatz zu Strong Ties, um Kommunikationsbeziehungen in Netzwerken besser zu erklären. Eine lose Kopplung ist weniger ausschließend als eine enge Kopplung. Weak Ties ermöglichen dadurch eine Vielzahl von Beziehungen über Brücken in unterschiedliche Sinnsysteme hinein. Lose Kopplung bedeutet nicht etwa Unverbindlichkeit oder schwache Verbindungen, sondern vielmehr Angemessenheit und Angepasstheit: selektive Integrationen beschreiben als Oberbegriff die Vielzahl auftretender und spezifischer Formen.
Auch dynamische Settings sind von Friktionen gekennzeichnet. Man könnte auch formulieren: diese Settings sind aufgrund der Friktionen transformational. In ihnen entsteht an den Grenzflächen der beteiligten Organisationen Innovation als unerwartete Lösung für neue Aufgaben. Und weil noch nichts gefestigt ist, entstehen immer neue Grenzflächen und Kontakte, so dass Innovation generisch ist.
Selektive Integration heißt hier, die angemessenen Artefakte zu finden und souverän zu nutzen. Dabei lassen sich von Begriffspaaren aufgespannte Räume finden, in denen sich je individuelle Kommunikation vollzieht: Abgeschiedenheit vs. Integration, Isolation vs. Konfrontation, Kadenz vs. Termine, Cross-Funktionalität vs. Spezialismus, externe Referenz vs. Schutzraum.
Vieles ist möglich, weniges ist je nach Aufgabe richtig und sinnvoll, z.B.:
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Designphasen sind in sich scheinbar ineffzient, sie verschwenden Zeit und Ressourcen. Weil sie das aber früh, in kleinem Maßstab und vielfältig machen, sparen sie die späten Kosten großer Fehler und finden - hoffentlich - auch die neuen Dinge.
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Die relativ kurze Taktung der Entwicklung und die direkte Rückkopplung mit den Adressaten (dem Markt) sorgt für unmittelbares Feedback und vermeidet durch rechtzeitiges Pivoting oder Abbruch Sunk Costs.
Letztlich sind die beiden Beispiele auch Beiträge zur Resilienz der Organisation und ihrer Subsysteme.
Die souveräne Nutzung der vorhandenen Instrumente und ihre Fortentwicklung ist das Gegenteil von enger Effizienzbetrachtung und Eindimensionalität der Geschäftsmodelle. Die Kommunikation über Unternehmensgrenzen hinweg wird in unterschiedlicher Form entwickelt und mit hoher Frequenz angepasst. Was wirksam ist, bleibt, was nicht wirksam ist, geht unter. Die Vielfalt der Kommunikationsbeziehungen dominiert.
Alle Weak Ties bilden in ihrer Gesamtheit dynamikrobuste Schnittstellen, die in der Transformation Vorteile verschaffen. Sie antworten auf die aktuelle Situation mit einer Vielzahl von Kommunikationsoptionen, die jede für sich „lose“ oder „weak“ und folglich austauschbar sein kann. In Summe entsteht so Robustheit im dynamischen Kontext.
These 4: Dynamikrobust heißt im Einzelfall nicht „gerecht“ oder „fair“. Dynamikrobust bedeutet auch für die Gesamtheit lose gekoppelter Schnittstellen nicht zwingend Symmetrie.
Zwei Aspekte relativieren diese These: auch wenn die einzelne Schnittstelle über Unternehmensgrenzen gerne auch mal asymmetrisch ist, gleichen sich in Menge und über die Zeit die Asymmetrien zwischen den Partnern weitgehend aus. Zweitens sind auch asymmetrische, also durch Macht geprägte Beziehungen dynamikrobust, solange die Akteure mit vertretbarem Aufwand Alternativen aufbauen können. Und das ist in der dynamischen Umwelt gewiss.
Grundsätzlich scheint Symmetrie in beweglichen, bewegten und bewegenden Zeiten gleichwohl ein gutes Konzept, weil asymmetrische Konzepte dauerhafte und stabile Gefälle zwischen den Partnern erfordern. Und an diesem "Gefälle auf Dauer" fehlt es.
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Asymmetrie über Bürokratie bleibt z.B. in der Dynamik Ausnahme, weil sie nicht schnell und unmissverständlich genug die Botschaften des Marktes transportiert: Verrechtlichung erfordert Dauer und Zeit, sie wird von der Wirklichkeit regelmäßig überholt.
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Die Ausübung von Macht dagegen ist schnell, bedarf aber exklusiv verfügbarer Machtmittel, die es in einer dynamischen Umwelt (mindestens systematisch) immer nur für einen kurzen Zeitraum gibt.
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Auch die klassische Symmetrie via Markt stößt in der Transformation an Grenzen: Der Markt mit vielen Kunden und vielen Zulieferern ist keine allgültige Option, weil in der Transformation nur selten Anbieter und Nachfrager in ausreichender Zahl und mit vergleichbaren Leistungen vorhanden sind.
Trotzdem: in dem Beziehungsbündel zwischen Unternehmen sind alle Varianten asymmetrischer und die klassische marktförmige Symmetrie nicht ausgeschlossen und ggf. sogar angepasst und angemessen.
These 5: Die Differenz und Unterschiedlichkeit zwischen Händler und Zulieferer ist Anlass, um die Beteiligten durch die Erfahrung der Differenz zur Selbst-Entwicklung und zur Innovation anzuregen. Ein gemeinsamer Fokus über Unternehmensgrenzen hinweg kann helfen, Differenz produktiv zu machen.
Die Erfahrung von Differenz ist schwierig, der Umgang damit anstrengend. Die Reduktion von Komplexität durch Ausblenden ist eine oft verwendete alternative Mechanik. In der dynamischen Umwelt scheint allerdings das Aushalten und produktive Wenden dieser Unterschiede extrem wichtig.
Hier helfen zentrierende Ziele: Ein übergreifend wirksamer Fokus hilft und ein gemeinsames Begriffsset, z.B. „Wert für den Endkunden“, macht die Fokussierung möglich.
zu "Wir müssen reden - Teil 2"
zu "Wir müssen reden - Teil 3"
Wir bedienen uns für die reflektierende Diskussion unseres Unternehmens u.A. der systemtheoretischen Sicht auf Organisationen, siehe Gerhard Wohland, Matthias Wiemeyer: „Denkwerkzeuge der Höchstleister“, der Analysen zur digitalen Transformation, siehe Matthias Schrader: „Transformationale Produkte“ und der organisationalen Antworten darauf, siehe Jürgen Hoffmann, Stefan Roock: „Agile Unternehmen“. Außerdem wird der Aufsatz von Granovetter, Mark S.: The Strengths of Weak Ties“ AJS Volume 78, No. 6 benutzt, um die Qualität der Beziehungen über Unternehmensgrenzen hinweg bewerten zu können. Insbesondere die in den ersten drei genannten Werken vorhandenen umfänglichen Literaturapparate bieten sehr gute Zugänge zu den Themen.