neuland ist Dienstleister - wir arbeiten für Kunden. Wir organisieren Beziehungen zwischen getrennten sozialen Systemen. Und wir müssen uns gegenseitig verstehen. Das ist möglich. Wir denken über die Beziehungsarbeit zwischen Kunde und Dienstleister in der digitalen Transformation nach.
Im ersten Teil versuchte dieser Beitrag, die aktuellen Bedingungen der Kommunikation zwischen Dienstleister und Kunden zu skizzieren. In diesem zweiten Teil der Serie wird die Entwicklung von Beziehungen zwischen unseren Kunden und den neuland Teams und einige Missverständnisse darin zum Thema gemacht. Im dritten Teil versucht der Begriff der selektiven Integration, einen Lösungsraum zu eröffnen, in dem Differenz produktiv verstanden wird.
... am Anfang zu neuen Ufern
Fast alle unsere Kundenbeziehungen starten dynamikrobust. Sie sind reibungsarm, wenig formalisiert und stark an einem eher grob definierten Ziel orientiert - das reicht den Teams und dem Kunden aus. Das Wegschaffen von Aufgaben dominiert; was dazu nötig ist, wird getan.
Der Anlass für die Zusammenarbeit ist häufig ein situativer: die Auftraggeber sehen sich zum Handeln gezwungen, um mit Risiken und Chancen umzugehen.
Oft unternimmt unser Kunde mit dem Team einen ersten oder zweiten großen Schritt in den E-Commerce. Inzwischen wird dabei weniger auf der grünen Wiese neu gebaut, sondern eher in einem begrenzten Zeitfenster ein bestehendes System abgelöst oder substanziell ergänzt. Manchmal geht der Auftraggeber davon aus, dass sich die Zeitfenster schon zu schließen beginnen oder aus anderen Gründen das Verpassen der Chancen droht - Eile scheint geboten. Manchmal sind Investitionen bereits getätigt, ohne dass der gewünschte Effekt eingetreten ist; Sunk Costs müssen verbucht werden oder scheinen zumindest sehr wahrscheinlich.
Die Lösungsstrategie besteht dann gerne in einer "ungewöhnlichen, heroischen Anstrengung" - gemeinsam, wenn möglich, denn alleine schafft es der Kunde nicht. Fast immer aber geht es darum, „etwas zu erreichen“, „einen Effekt zu erzielen“, und nicht so sehr darum, die kleinen, wichtigen Schrauben der Effizienzmaschine zu justieren.
In der zumeist kurzen Realisierungsphase soll ein Maximum an Features umgesetzt und implementiert werden, Zeit ist knapp, und die Zahl der entwickelnden Kolleginnen kann dem Kunden gar nicht groß genug sein. Erfolg misst sich an der Zahl der entwickelten Features und der deployten Funktionen, Aufwand ist das Produkt aus eingesetzten FTEs und Tagessätzen. Die Metrik ist einfachst: 100% Erfolg definiert sich ex post. Und zwar aus dem Erreichen aller im Laufe der Produktentwicklung vereinbarten Backlog-Einträge. Das Maximum an zu erwartendem Aufwand erkundet man durch die Anwendung der Grundrechenarten.
In starren oder trägen Umwelten wird das dynamisch anwachsende Backlog aus den Items eines Lastenhefts oder den Leistungsmerkmalen bisheriger Lösungen (ergänzt um allfällige Öffnungsklauseln wie „Stand der Technik“ oder „sinnvolle Anpassungen im weiteren Entwicklungsverlauf“) ersetzt. Diese Konstrukte sind weniger offen, funktionieren aber durch die gemeinsam gemachte Erfahrung der notwendigen Abweichungen vom Plan in der hier beschriebenen ersten Phase der Zusammenarbeit auch mehr oder weniger gut.
Die Unsicherheit für den Kunden ist groß, aber durch den definierten und den im Vergleich zu anderen IT-Vorhaben oder Investitionen in die materielle Infrastruktur kurzen Entwicklungszeitraum auszuhalten. Die Rückkehr zum „gewöhnlichen Betrieb“ scheint nur eine Frage der Zeit. Allem Jargon aus der Produktentwicklung zum Trotz wird das Vorhaben als Projekt, als temporär befristete Sonderanstrengung oder Ausweg aus einer Notsituation gedacht. Die Beziehung zwischen Kunde und Dienstleister ist folglich lose (weak). Wir haben uns inzwischen angewöhnt, diese Phase nicht mehr als "Kopplung" zu bezeichnen, sondern eher von der "Begegnung" zu sprechen.
Für die neuland Teams ist das übrigens nicht viel anders: Zusätzlich zum aus Erfahrung und Beispiel gerechtfertigten Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und dem handwerklich selbstbewussten: „Sagt uns erstmal genauer, wo der Wert für den Endkunden liegt, und dann wir finden schon einen Weg, wie das in Software gegossen wird“, stehen der Endtermin und die Gewissheit, dass an Featuremenge und -umfang letztlich eher zu drehen sein wird als an der Zahl der Kolleginnen im Team. Und auch wenn der Liefertermin sich aus Sicht eines erfahrenen Entwicklungsteams doch immer etwas flexibilisieren lässt, ist das Ende und damit der maximale Aufwand stets absehbar.
Auch für das Team ist das „All Hands on Deck“-Manöver also zuvorderst eine zeitlich begrenzte Veranstaltung. Die Gewissheit, ein unter den gegebenen Umständen maximal wertschaffendes Produkt liefern zu können, macht die offen formulierte Aufgabenstellung eher zur Chance denn zur Fessel. Auch diese Kopplung bzw. Begegnung wird als schwach bzw. lose erlebt.
... mit kommunikativer Integration ...
Systematisieren wir für diese Begegnung der beiden Organisationen die Ausprägungen der systemtheoretischen Sinndimensionen Zeit, Sachlichkeit und Soziales.
Sinndimension Zeit
In der ersten Phase der Produktentwicklung gliedern Sprints die Implementierungszeit. Sie schaffen Sichtbarkeit „verbrauchter Zeit“ und konfrontieren mit verbleibender Zeitmenge als „Ressourcenäquivalent“. Indiz dafür: es wird weniger über die Zeit in Tagen oder Stunden geredet, sondern mehr die Anzahl der Sprints („noch 12 x“) zur Vergewisserung genutzt. Diese grobe Körnung reicht hin. Differenz taucht in der Definition der „genutzten Zeit“ auf (Arbeit am Feature, am Team, am Produkt), sie tritt aber hinter die grobe Definition zur „Zeit bis zu einem Ereignis“ zurück.
In der agilen Welt dienen vorgeschaltete Formate wie z.B. das Storymapping zur Synchronisation und Abstimmung von Zeit, Scope und Qualität. Dort, wo wir diese Formate nutzen, scheinen sie aber eher der Darstellung der Eigenzeit des Kunden und der Übertragung in eine Eigenzeit des Implementierungsteams zu dienen. Dieses Zeitverständnis ("der Termine") wird aus Sicht des Teams eher als extern gesetzte Bedingung denn als Ergebnis gemeinsamen Nachdenkens erlebt.
Die oft erforderlichen Artefakte klassischen Projektmanagements (nach innen) werden durch die POs (Product Owner) beim Kunden im trägen Modus "bedient". Diese Kolleginnen übersetzen so die Differenz zwischen agilen und klassischen Prozessen (eine hohe Belastung!) und kommunizieren über Liefertermine, Lieferumfang, Zeitpunkte, Wendemarken, Meilensteine o. Ä. in das Kundensystem.
Sinndimension Bedeutung
Zentrale Projektionsfläche ist in dieser Phase der „Claim des Produkts“. Selbst wenn er nicht explizit erarbeitet oder ausgesprochen wurde, lässt sich schnell eine Übereinkunft finden. Diese dient der Vergewisserung der unmittelbar Beteiligten in beiden Unternehmen. Ein Text für einen „Elevator Pitch“ ist schnell formuliert, allerdings dient er fast nie als Grundlage für einen Pitch beim CFO, sondern wird eher für die interne Verständigung genutzt. In aller Kürze beschreibt er dann Wertversprechen für den Kunden, den Lieferumfang und die durch das Team zu bearbeitenden Aufgaben.
In der ersten Phase der Zusammenarbeit werden Stories und Features beschrieben. Uns scheint es so zu sein, dass diese dabei weniger als Angebote zum Gespräch funktionieren, sondern (mit Verweis auf den vorher produzierten Zeitdruck) als gegeben verkündet werden und so der Verzicht auf Nachdenken (auf beiden Seiten) entschuldigt wird. Manchmal dienen die Features der Durchsetzung asymmetrischer Deutungshoheiten (durch Unschärfe, offene Begriffe und Kauderwelsch) - und das wohl genauso oft durch das neuland Team wie den Kunden. In den ersten Phasen der Zusammenarbeit wird auch die technische Architektur verhandelt. Mein Eindruck: auch sie wird eher referenziert und vorgestellt als ausgehandelt - diesmal allerdings vom neuland Team getrieben. Die Skizze ist vielfach bereits der Plan.
Möglichkeiten des Storytellings werden nicht explizit genutzt. Da Mitglieder der neuland Teams aber die Fähigkeit kultiviert haben, trotzdem das „Geschäftsmodell des Kunden“ hinreichend zu verstehen und das soziale Gefüge zu begreifen („wer ist stark, wer führt, wer ist zu beteiligen“), entsteht eine gemeinsame Bedeutungsebene.
Auch umgekehrt werden Bedeutungen eher implizit gelehrt und gelernt. Auch wir kennen kein explizites „Storytelling des Dienstleisters“. Warum wir (für den spezifischen Kunden) "wirklich, wirklich, wirklich" gut sind, ergründen wir nicht. Das ergibt sich eher als Zuweisung (via Referenzen) und in den ersten Phasen der Zusammenarbeit. Hier ist die Anpassungsfähigkeit der neuland Teams ein wichtiger Vorteil. Eventuell verlagern wir so aber auch die Austragung von Differenzen in eine spätere Phase der Zusammenarbeit, in der dann die Aufwände erheblich höher werden.
Die praktizierte Veteranensicht ist zweischneidig: Wir vermitteln über „alte Geschichten“ sicher Zutrauen und Beruhigung, am Ende aber doch ein heroisches Arbeits- und Führungsmodell, das Erfahrung mehr betont als Neugierde und Offenheit, obwohl uns (ebenfalls aus Erfahrung) völlig klar ist, dass "Veteranentum ohne Erneuerung" zur Kopie des immer gleichen und zum Verzicht auf Innovation führt.
Sinndimension Kultur
Ob sich Kunden am Beginn der Zusammenarbeit überhaupt mit der Dimension Kultur beschäftigen, darf bezweifelt werden. Am Beginn einer Zusammenarbeit erschöpft sich die gemeinsame Kultur in der Zuversicht, dass sich eine entwickeln kann oder wird. Da Kultur unter den gegebenen Bedingungen der sehr losen Begegnung (und noch nicht Kopplung) gleichgültig zu sein scheint, reicht diese Zuversicht auch unseren Teams aus.
Als neuland legen wir in dieser Phase weniger Wert auf das Bewusstsein für Kultur als Erscheinungsform und Resultate von Struktur. Wir stellen das Thema hintan. Begründung: Wir wollen verstanden und wertgeschätzt werden. Empathie gehört zu unserer Grundausstattung, reicht alleine allerdings nicht aus. Compassion als Modell einer "Empathie mit Forderungen" zu entwickeln, scheint sinnvoll zu sein. Eine Kultur der Differenz kennen wir nicht - vielleicht ist hier ein wichtiger Ansatzpunkt für Verbesserungen im eigenen Tun zu finden.
... dann zurück zu einer (unterstellten) Normalität?
In der Regel gehen die Kunden und die neuland Teams gemeinsam erfolgreich durch die erste Phase der Produktentwicklung und setzen anschließend die Zusammenarbeit auf der bisherigen Basis fort.
Die lose Beziehung schreibt sich fort, wenn auch die Intensität der Beziehung zunimmt. Es scheint alles gut, doch der Honeymoon währt nicht ewig. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein wichtiger: die von den neuland Teams verkörperte Dynamik in der Transformation ist anstrengend und bricht mit kulturellen Mustern beim Kunden. Trägheit gehört nicht zum Standard-Lieferumfang der neuland Teams.
Wohlgemerkt: Das hat eher mit der Transformation (also den Bedingungen) und weniger mit den neuland Teams (also den Akteurinnen) zu tun. Für den Kunden endet die Anstrengung der aufwandsintensiven ersten Phase der Implementierung eben nicht mit dem Rollout der ersten Produktversion (und auch der 2., 3. oder 4. nicht). In der digitalen Transformation arbeiten bedeutet mindestens eine dauerhafte Bewegung. Das muss verstanden und gelernt werden - und das ist nicht leicht.
Die gefühlt endlose Ausdehnung der Produktentwicklung, wo die Arbeit doch eigentlich implizit als endliches „Projekt“ definiert war, ist nur dann kein Problem, wenn man die Teilziele analysieren kann, wenn jedes Inkrement Wert schafft, kurz: wenn der Weg das Ziel ist. Erreicht man diese Zusammenarbeit, reiht sich Kopplung an Kopplung. Artefakte sorgen dafür, die schwachen Beziehungen immer wieder zeitlich und semantisch zu synchronisieren. In diesem Sinne können sie auch Anknüpfungspunkte für neue oder erneuerte lose Kopplungen sein. Unterschiedlichkeit bleibt produktiv. Wenn das nicht erreicht wird, entstehen Missverständnisse.
Missverständnis 1: "einen produktiven Umgang mit Differenz gibt es auch ohne Arbeit daran"
Nicht gelebte Dimensionen unternehmensübergreifender Kommunikation erodieren. Es gibt keine "Normalität" im Sinne von "Automatismus".
Zeit: In der ersten Phase der Zusammenarbeit haben sich die Teams und die Auftraggeber beim Kunden ein relativ robustes Set für die Synchronisation der je unterschiedlichen Eigenzeiten zugelegt. Die Teams und Kunden lernen sich schnell zeitlich zu verständigen. Sprintmeetings oder Planungstreffen sorgen dafür, dass sich die „Zeitwahrnehmungen“ immer wieder begegnen.
Die Sprints im Scrum funktionieren als Raster und werden schnell verinnerlicht. Die Zeiten werden so synchron, dass die Messung über die Sprints verzichtbar oder weniger wichtig wird. Teilweise wandert die Zeitsynchronisation in die Features (z.B. wenn im Kanban Lead- und Cycletime für ein einzelnes Feature fast sicher, aber mindestens hinreichend wahrscheinlich vorhergesagt werden können), und die Artefakte zur Festlegung gemeinsamer Zeitvorstellungen werden abgeschafft.
Soweit so gut. Was sich aber so nicht abschaffen lässt, ist die verbleibende Differenz in den Eigenzeiten der beiden Organisationen:
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Wenn alles nur Sprint ist, sind alle Aufgaben nur Features. Wenn alles nur Kanban-Task ist, ist alles nur laufender (Tages-)Betrieb. Und das passt nicht. Ad hoc Aufgaben schleichen sich in die Arbeit ein und verdrängen mit ihrer zeitlosen Gegenwärtigkeit die immer wieder ausgehandelten Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft. Themen jenseits der kleinen Aufgabe (also neue Big Pictures) können nicht mehr gesehen werden. Eine zentrierende Funktion in der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit fehlt.
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Auch wenn die Aufgaben über die Unternehmensgrenzen gleich verstanden werden (z.B. als Produktfeature), fallen die zeitlichen Vorstellungen auseinander. Ein agiles Implementierungsteam ist weiterhin deutlich kürzer getaktet als eine Abteilung in einem Konzern. Was im neuland Team "langfristig" ist, ist im Kundenunternehmen ein „Schnellbootprojekt“. Auch in der gleichen Schicht von Aufgaben ergeben sich so ohne Kommunikation unterschiedliche Zeitlichkeiten.
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Wohlgemerkt: es geht nicht darum, diese Zeitvorstellungen zu vereinheitlichen oder die eine Eigenzeit über die andere obsiegen zu lassen. Es geht um die getaktete Sichtbarmachung dieser Differenzen und um das Einüben eines produktiven Umgangs damit. Dabei ist die Tatsache des Kontakts wichtiger als der zeitliche Abstand zwischen den Treffen: Kadenz ist wichtiger als Takt.
Bedeutung: Auch der Austausch über Bedeutungs- und Zeichensysteme ist wichtig und in der längeren Zusammenarbeit notwendig. Eine geteilte (oder mehrere mindestens weit überdeckende) Eigenzeit(en) ohne Diskurs und Verständnis zu Bedeutungen ist wenig sinnvoll. Auch hier sind der Verzicht auf die Aushandlung und den Umgang mit Differenz problematisch.
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Was bei den neuland Teams Gegenwart für Produkt und Markt ist, scheint neuland Kunden eine noch ferne und offene Zukunft.
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Wenn neuland Teams von Selbstorganisation und fachlicher Führung als Organisationsprinzipien sprechen, meinen neuland Kunden vielleicht strenge Vorgaben und technische Normen.
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Wenn neuland Teams von End-Kunden sprechen, sehen unsere Auftraggeber Debitoren oder Auftragsadressen.
Am Beginn der Zusammenarbeit reichte eine relativ grobschlächtige und Differenz überdeckende Zielsetzung. In der zunehmend selektiven und unterschiedlich engen Zusammenarbeit entsteht nun der Bedarf nach einem feineren und vielfältigeren Instrumentenkasten zur Sicht und Aushandlung von Bedeutungen. Die Fähigkeit (die nicht in jedem Fall angewendet werden muss) zur intensiven Kommunikation über Bedeutungen muss entwickelt werden.
Obwohl (oder besser: weil) sich die beiden Organisationen so gut kennen und je eigene Vorstellungen zu den Aufgaben entwickelt haben (und immer schneller entwickeln können), muss die Aushandlung immer besser werden und im besten Fall wie ein Muskelgedächtnis der Organisation funktionieren.
Die Bedeutung des Diskurses über den Sinn oder den Wert der Aufgaben (egal ob Konzept, Epic, Story oder Feature) nimmt entgegen der Erwartung zu. Die Bedeutung der agilen Artefakte als Angebot zum Gespräch wird immer wichtiger. Das Missverständnis geht dagegen davon aus, dass der Aufwand hier immer geringer werde und - da man sich ja so gut kenne - tendenziell gegen „Null“ gehe - und das ist nicht so. Selbst wenn der einzelne Durchlauf immer schneller wird, bleiben in der Summe auch bei wachsender Produktivität die Aushandlungsaufwände gleich - zumindest immer deutlich nachweisbar.
Kultur: Kultur ist zunächst nachrangig und wenig wirkmächtig. Mit zunehmender Kopplung werden die Unterschiede der Kulturen erst sichtbar und dann wirksam. In der Begegnung der Kulturen werden Zonen des Verstehens und der Akzeptanz sowie gleichzeitig Zonen des Unverständnisses und des Missfallens gebildet. Persönliche Geschichte (vor allem geteilte gemeinsame Erfahrungen aus der vorherigen Zusammenarbeit) schlagen dann Brücken über diese nicht begehbaren Gebiete. Spätestens, wenn die Personen wechseln, funktioniert auch dieser Bypass nicht mehr.
Die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg muss mit dieser Form von Unterschiedlichkeit umgehen lernen, wenn sie sich nicht mit dem Ausblenden („das war doch bisher kein Thema“) oder dem Überformen („ihr müsst das nur so wie wir sehen (machen), dann passt das“) für kurze Zeit aus dem Dilemma stehlen will. Erschwerend kommt hinzu, dass kulturelle Vergewisserung und Diskurs den Charakter der „Kultur als wirkmächtiger Ausprägung von Strukturen“ anerkennt und insofern nicht zum Gegenstand von Veränderungsversuchen macht.
Im Kontext agiler Methoden könnte die Diskussion über agile fluency bus zones die Chiffre sein, um kulturelle Differenzen sichtbar und wechselseitig ertragbar zu machen oder anhand der Unvereinbarkeit festzustellen.
Notwendig ist das allemal, denn wenn bei neuland Teams crossfunktionale Organisation und Zuständigkeit via Selbstermächtigung gelebte Praxis ist und sich Kunden in Linie und hierarchischer Delegation organisieren, sind zumindest die unterschiedlichen Kulturmuster anzuerkennen.
Missverständnis 2: "Es geht ums Geld, nicht um kommunikative Überforderung"
Sich in der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit auf die oben genannten Aufgaben zu verständigen ist keine Selbstverständlichkeit. Und sie dann im Einzelnen zu bearbeiten und produktiv zu nutzen, ist erst recht schwer.
In vielen Fällen beobachten wir daher im Verlauf der Kundenbeziehung eine Verschiebung von inhaltlichen Diskussionen hin zu eher formalen und meist den Aufwand oder die Kosten thematisierenden Abstimmungen. Man könnte damit erklären, dass der Blick auf das Geld nach einer Phase des geringen Kostenbewusstseins - und somit die „Wirtschaftlichkeit“ - in den Blick gerät. Mir will scheinen, dass dieser Gedanke zu kurz greift und die Beobachtungen nicht vollständig erklärt: Wenn die Artefakte zur Aushandlung von Bedeutungen nicht mehr genutzt werden und wenn die Verschiedenheit nicht mehr als Bestandteil des Erfolges gesehen werden kann, wenn Differenz trotzdem sichtbar ist und nur noch ausgehalten werden kann, nimmt die Bedeutung der Kommunikation via Äquivalente zu - und die Kommunikation via und über Inhalte (Sinn, Wert, Bedeutung) ab.
Ich verstehe die zunehmende Bedeutung der Äquivalente als Hinweis auf die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Unterschieden und den Nicht-mehr-Unterschieden zwischen den Organisationen. Innerhalb eines Subsystems kann die Aushandlung von Bedeutung auf Zeit weniger wichtig sein, wenn das Setting eine Phase der Stabilität erreicht hat. In diesem Fall lässt sich fast alles auch in Äquivalente übersetzen. Weil unternehmensübergreifend bei den Äquivalenten aber jeweils unterschiedliche Intentionen und Interpretationen im gleichen Gewand daher kommen, und insofern Rückübersetzungen erforderlich wären, ist Bedeutung in dieser Kommunikation verloren gegangen und wird auch nicht anderweitig kompensiert. Das Ergebnis ist organisationsübergreifend reduzierte Kommunikation, bis hin zur Sprachlosigkeit. Dass die Ersatz-Kommunikation über Wert(einheiten) oder Nutzen, die ja statt des Äquivalents den Kern zum Gegenstand der Kommunikation macht, im Übrigen ebenso schnell inhaltsleer, formalistisch und rituell werden kann, unterstützt die These der Überforderung.
Missverständnis 3: "Die Beziehung zu neuland ist wie zu anderen Lieferanten - oder wir tun wenigstens so"
Zwei Probleme deuten sich an: die erste Quelle der Missverständnisse sind die persistenten Kulturen und Verhaltensmuster, die viele unserer Kunden entwickelt haben und die wir in der ersten Phase der Zusammenarbeit ungewollt, aber wirkmächtig, mit fortschreiben: heroische Anstrengung, Kampagne, Überstunden - dadurch Vorsprung, geschützte und privilegierte Auswertung eines Geschäftsmodells und also nachfolgend Ruhe und Genießen der Früchte der Anstrengung sind tief in der Organisation verankerte Erwartungen an ein fortgeschriebenes tayloristisches Geschäfts- und Organisationsmodell.
Weil aber in der Transformation die vielen Aufgaben der dauernden Produktentwicklung gegenüber dem Auswerten erzielter Vorsprünge dominieren, ist es keine Frage, dass tiefe Enttäuschungen produziert werden können. Im Gegensatz zu Unternehmen, die die dynamische ökonomische Umwelt gestalten, erleben träge Akteure ermüdende Sprintserien statt eines Dauerlaufs: Die Folge ist Enttäuschung im Quadrat. Die Organisation zeigt häufig eine Immunreaktion und stößt die bisher implementierten Strukturen ab: Die Frage, wann man denn nun bitte „genug getan habe“, um wieder zum Normalbetrieb zurückzukehren, steht im Raum. Und je größer das zu erreichende Ziel beschrieben und je bunter das Zielbild gemalt wurden, umso schwieriger ist es für den Kunden, wenn man dort nicht ankommt, sondern es immer nur weitergeht.
Die Reaktion der in trägen Umwelten sozialisierten Organisation ist durch alle mit der Geschäftsbesorgung befassten Hierarchiestufen gleich: Obwohl der Abschied vom erwarteten „Business as usual“ und der Aufbruch in die Transformation beginnen müsste, wird nach den Post-Online-Releases mit großem Engagement ein Normalbetrieb gestaltet. Wem der Regelbetrieb obliegt (oder bisher oblag), ist entschieden in seiner Haltung: "Jetzt ist es dann auch gut." Stabilität wird gefordert. Das kann bis hin zur Simulation der erhofften (alten) Normalität reichen.
Der zentrale Ausdruck des oben genannten Missverständnisses in der Kommunikation zwischen Kunde und Dienstleister ist die ausufernde Diskussion um Aufwände, Aufgaben und Strukturen. Für den Kunden bleiben die Aufwände für den Leistungsaustausch über die Unternehmensgrenzen hinweg zwar immer noch einfach berechenbar, der Mangel an Fokus auf Wert und Metriken, die diesen beschreiben, macht sich aber deutlich bemerkbar. Die Konfrontation von Aufwand und Ertrag wird immer drängender, die grobe Aussage vom Beginn der Zusammenarbeit reicht anscheinend nicht mehr aus. Business as usual mündet im Versuch, die Zulieferbeziehungen normiert austauschbar oder machtbasiert asymmetrisch zu gestalten, obwohl selektive Integration und Symmetrie die produktivere Option wäre.
Missverständnis 4: "Enge Kopplung unter Verzicht auf Differenz erleichtert unternehmensübergreifende Beziehungen"
Die Sehnsucht nach genormter Austauschbarkeit oder machtbasierter Asymmetrie kann durch einen Aspekt der selektiven Integration erklärt werden.
Das wollen wir als viertes gegenseitiges Missverständnis beschreiben: Die Beziehung zwischen Kunden und Dienstleister wird zwar enger (in der Dimension „Nähe der Teams“), aber auch verengter (in der Dimension „Breite der Aufgaben“). Aus der Vielzahl selektiver Integrationen mit dazugehörender Unschärfe aus der Distanz werden wenige stark integrierte und damit ausschließende Beziehungen.
Auch daraus ergeben sich Vorteile (eine gemeinsame Sprache, Automatismen und eine intime Kenntnis der Domänen), aber auch extreme Nachteile (Verzicht auf Hinterfragen und Herausbilden einer wechselseitig nicht angetasteten Komfortzone), die insgesamt eine sich am Ende ergänzende, widerständige Visionsentwicklung verhindern und so zu sinkender Innovationskraft bei zunächst möglicherweise steigender Produktivität führen.
Die in diesem Sinne nicht mehr selektive und nur noch verengte und verengende Kopplung verzichtet auf die produktive, akzeptierende Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichten, der „privilegierte, faule oder uneinsichtige Dienstleister“ oder der „beratungsresistente Kunde“ entstehen wechselseitig als entlastende Topoi.
Zeit: Die Vielfalt der Eigenzeiten der unterschiedlichen, sich bildenden Systeme wird durch ein die Partner zurichtendes Modell einer Eigenzeit ersetzt. Alles wird im Scrum-Rhythmus synchronisiert, auch wenn diese Methode der beschleunigten Ressourcenallokation die entsprechenden Fragestellungen in dem ihm zugrundeliegenden Zeitverständnis gar nicht adressieren kann. Oder - häufiger - alles wird wieder verlangsamt, weil sich die gesamte Wertschöpfungskette an dem Subsystem mit der langsamsten oder aus Machtgründen dominierenden Eigenzeit orientieren muss. In jedem Fall verlieren Systeme Beweglichkeit, wenn externe Eigenzeiten die Teams dominieren. Die Jahresplanung kann in diesem Kontext genauso ungeeignet sein wie der 2-Wochen-Sprint.
Bedeutung: Bedeutungen, die nicht mehr verhandelt werden, sorgen für Widersprüche im System. Auch hier gilt: je autonomer die Teams ihre Bedeutungen verhandeln können, umso besser. Der Kontext definiert sich dabei letztlich auch hier durch die anschlussfähigen Kommunikationen. Es bedarf keiner expliziten externen Perspektive. Diese ist auch für Unternehmensgrenzen überschreitende Zusammenarbeit irrelevant. Soweit sie anschlussfähige Kommunikationen produziert, ist sie Bestandteil der Systemrealität.
Kultur: Kulturen bilden sich aus den Strukturen. Extern aufgeprägte Muster, die sich als Kulturen tarnen, sind entweder folgenlos oder sorgen für Reibung und Dysfunktionen. Autonomie der Subsysteme in der Verpflichtung, sich mit den Differenzen der beteiligten Bezugssysteme zu beschäftigen, ist Voraussetzung und Folge der lebendigen Bündel selektiver Integration.
zu "Wir müssen reden - Teil 1"
zu "Wir müssen reden - Teil 3"
Wir bedienen uns für die reflektierende Diskussion unseres Unternehmens u. A. der systemtheoretischen Sicht auf Organisationen, siehe Gerhard Wohland, Matthias Wiemeyer: „Denkwerkzeuge der Höchstleister“, der Analysen zur digitalen Transformation, siehe Matthias Schrader: „Transformationale Produkte“ und der organisationalen Antworten darauf, siehe Jürgen Hoffmann, Stefan Roock: „Agile Unternehmen“. Außerdem wird der Aufsatz von Granovetter, Mark S.: The Strengths of Weak Ties“ AJS Volume 78, No. 6 benutzt, um die Qualität der Beziehungen über Unternehmensgrenzen hinweg bewerten zu können. Insbesondere die in den ersten drei genannten Werken vorhandenen umfänglichen Literaturapparate bieten sehr gute Zugänge zu den Themen.