neuland ist Dienstleister - wir arbeiten für Kunden. Wir organisieren Beziehungen zwischen getrennten sozialen Systemen. Und wir müssen uns gegenseitig verstehen. Das ist möglich. Wir denken über die Beziehungsarbeit zwischen Kunde und Dienstleister in der digitalen Transformation nach
Im ersten Teil versuchte dieser Beitrag die aktuellen Bedingungen der Kommunikation zwischen Dienstleister und Kunden zu skizzieren. Im zweiten Teil der Serie wurde die Entwicklung von Beziehungen zwischen unseren Kunden und den neuland Teams und einige Missverständnisse darin zum Thema gemacht. Im dritten Teil versucht der Begriff der selektiven Integration, einen Lösungsraum zu eröffnen, in dem Differenz produktiv verstanden wird.
... stattdessen: selektive Integration und produktive Differenz
Wir halten fest: Die Erfahrung längerer erfolgreicher Zusammenarbeit sollte den Partnern den Umgang mit Differenz erleichtern und sie in den Stand versetzen, Unterschiedlichkeit produktiv in eine Vielfalt von Eigenzeiten, semantischen Apparaten und Kulturen zu integrieren.
Entscheidend sind die Begriffe Vielfalt und Autonomie, oder als Anti-Pattern „One-fits-all“ und „von Außen“ verordnet.
Verengte und verengende Kopplung greift zu kurz
Kunden aus der trägen Welt der tayloristisch geprägten stabilen Geschäftsmodelle definieren die Voraussetzungen des Erfolgs als Kerngeschäft. Das Kalkül ist dann so einfach wie richtig: „Wenn eine bestimmte Form von Software und ihre Entwicklung unabdingbare Voraussetzung für meinen Geschäftserfolg ist, muss das Unternehmen diese Aufgaben nur integrieren und optimieren, um die Wertschöpfung in der eigenen Bilanz zu realisieren und dabei insgesamt einen zusätzlichen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen“. Außerdem wird so anscheinend eine Abhängigkeit von Dritten reduziert. Voraussetzung für die damit verbundene Erwartung von Economies of Scale ist aber die tayloristische Normalität - von der wir vielfach nicht mehr ausgehen können. Nur im tayloristischen Produktionsregime wäre dann der Kauf von Lieferanten und die Integration in das eigene Unternehmen (als die festeste aller Kopplungen) eine sinnvolle Option.
Tayloristisch denkende Unternehmen gestalten aber auch die unternehmensübergreifende Zulieferbeziehung in der gewohnten Form: Verbesserungen werden kleinteilig, die scheinbare Effizienz dominiert über den Effekt, und das Alltagsgeschäft kehrt anscheinend zurück. Asymmetrische Formalisierung und sich differenzierende Organisation lösen die bisherige flexible Zusammenarbeit auf Augenhöhe ab; das Spektrum der Aufgaben wandelt sich von der „Konzeption und Entwicklung des Neuen“ hin zur „Pflege des Bestehenden“. Wo man vordem gemeinsam an einem offenen Begriff arbeitete, werden jetzt Einzelaufgaben ohne größeren Kontext abgehakt. Wo Wert im großen Wurf das Ziel war, verzettelt sich das Team in kleinteiligen Tickets und sieht sich nicht adäquat eingesetzt.
Die generelle Integration unternehmensübergreifender Beziehungen ist insbesondere in der Transformation Gift. Anstatt dass beide Partner in der Diskussion den Wert der gemeinsamen Arbeit erkunden, über Zeit und Bedeutungen verhandeln, die Unterschiede darin zulassen und nutzen, nehmen formalisierte und abstrahierende Begriffe wie Aufwand, Abrechnung, Rechnung, Nachweis, Buchungsstelle, Budget u.A. einen immer größeren Platz ein.
Das Ergebnis ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: Weil die produktiven Kräfte nicht mehr in und mit der Unterschiedlichkeit am jeweiligen Fokus arbeiten, verliert die Beziehung zwischen Kunde und Dienstleister an Momentum. Unterschiedlichkeit schleift sich ab und eine rudimentäre Form von geteilter Eigenzeit entsteht. Die Kopplung wird immer enger, aber eben auch einengend und beengt.
Notabene: das Konzept der selektiven Integration schließt auch in der Dynamik Formen ein, die eher tayloristisch anmuten. Wenn das sinnvoll (weil z.B. entlastend) ist, dann gut. Auch ein Make- statt Buy-Kalkül mag aus Sicht des Systems Unternehmen oder den Subsystemen sinnvoll sein. Dies als Differenz zu beschreiben und einerseits gelten zu lassen, aber andererseits sich eben der Diskussion über diese Unterschiedlichkeit zu stellen, entscheidet über den Erfolg in der Transformation. Alles andere ist Zufall. Es gibt Instrumente, um hier zu urteilen: laut Wohland ist Kerngeschäft alles, was nicht extern bezogen werden kann, aber zur Gestaltung des Geschäftsmodells zwingend wichtig ist. Alles notwendige Andere kann zugekauft werden, denn die Investition in die Übernahme solcher Tätigkeiten lohnt sich aufgrund der vermutlich geringen Halbwertszeit für den Kunden nicht. Alles, was nicht notwendig ist, wird nicht getan, denn es wäre Verschwendung.
Vor diesem Hintergrund gibt es in der Welt der Transformation für Kunden aus dem Handel und ihre E-Commerce Dienstleister zum Beispiel bei Make or Buy Entscheidungen zwei Aspekte des Kerngeschäfts zu beachten:
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Bekannt ist das fachliche Know-How für die spezifische Form der Wertschöpfung. Die fachliche Expertise ist faktisch nicht zukaufbar, denn niemand kennt das eigene Geschäftsmodell so gut wie man selbst.
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Neu ist eine zweite Dimension des Kerngeschäfts: aus einem Händler mit einer IT-Abteilung wird ein digitales Unternehmen, das Formen des Handels betreibt.
Das muss das Verhältnis zwischen Kunden und IT-Dienstleister verändern: dort, wo über Unternehmensgrenzen hinweg weiter zusammengearbeitet wird, verschieben sich mindestens die Gewichte. Hierauf muss man auch als Dienstleister gestaltende und also selektive Antworten finden.
Lose Kopplung als Prinzip der Möglichkeiten
Im digitalen Transformationsprozess bleibt die Bereitschaft und Fähigkeit, über die bisherigen Lösungen hinauszugehen, unverzichtbar. Neue Geschäftsideen zu entwickeln, schnell zu validieren und dann in großem Maßstab zu realisieren ist das zentrale Kriterium für wirtschaftlichen Erfolg im E-Commerce. Vorhandene Geschäftsmodelle zu innovieren und das Domänenwissen nutzbar zu machen ist die zweite zentrale Aufgabe, um dynamisch zu agieren.
Das Beziehungsgeflecht zwischen Kunde und Zulieferer ist dynamikrobust, weil es aus einer Vielzahl von Beziehungen besteht. Die Erscheinungsformen sind vielfältig, aber immer lose gekoppelt: manche sind symmetrisch-marktförmig (sobald doppelte Kontingenz gegeben ist), in Einzelfällen sind einige wenige sinnvoll asymmetrisch geregelt (durch Vertrag oder extern vorgegebenes Recht, wie im Datenschutz) oder funktionieren als symmetrischer Austausch von Leistung und Gegenleistung als flexible Spezialisierung.
Theoretisch kann der dynamikrobuste Basislayer sogar die Form eines virtuellen Unternehmens als Kombination zweier Kerngeschäfte annehmen. Weil aber die große Bedeutung der Weak Ties, der losen Kopplung, zentrale Voraussetzung ist, um fehlertolerant und anpassbar zu bleiben, scheint diese Form, wie auch der Kauf des Dienstleisters durch den Auftraggeber, nur ein seltener Sonderfall zu sein. Immer dann, wenn eine solche, in der Transformation exotische, Lösung nicht Ergebnis eines Diskurses, sondern gesetztes Zielbild ist, liegt der Weg in die Dysfunktion nahe. Wir erklären so nicht nur die extrem gebremste Geschwindigkeit, wenn Aufgaben "jetzt innerhalb des Kundenunternehmens" gemacht werden sollen, sondern auch die Erfahrungen mit Firmenzukäufen ehemaliger Dienstleister. Und auch die Zauberformel "Übernahme plus Enabling" kann nicht wirken, weil es eben nicht um den Aufbau individueller Fertigkeiten, sondern um wirkmächtige Strukturmerkmale geht.
Sinnvoller scheint der Weg, das Beziehungsgeflecht zwischen Kunde und Zulieferer in der Transformation immer auf die Unterschiedlichkeit der Partner zu referenzieren und zu versuchen, dieses Spannungsfeld optimal zur Wirkung zu bringen.
Mit diesem Ziel sind die Unternehmensgrenzen überschreitende Beziehungen als selektive Integration zu gestalten. Das könnte besonders für die Innovation gelten: anstatt die Entkopplung von Themen (und dadurch Subsystemen) mit besonderer Eigenzeit, wie z.B. „Suche nach the Next Big Thing“, auf der einen Seite und der Integration oder starken Kopplung von Subsystemen und Aufgaben mit vergleichbarer Eigenzeit, wie z.B. dem „Tagesgeschäft“, auf der anderen Seite zu betreiben, wäre es sinnvoll, über Strukturen nachzudenken, die die Unterschiedlichkeit ins Unternehmen holen und dort produktiv machen.
Die Mechanik der Innovation wäre dann nicht die generelle Distanz zum aktuellen Kerngeschäft, sondern die operative Auseinandersetzung mit der Divergenz. Dies zu organisieren würde die Teams beim Kunden und die neuland Teams gleichermaßen fordern und verändern. Stichworte: das Business Development wird immer schneller Teil des Regelbetriebs. Wissen, Innovation und Disruption wird auf dem Shopfloor generiert und in geeigneten Formen implementiert. Und bei allen Unsicherheiten über Form, Umfang und Inhalt dieser Wertschöpfung 2. Ordnung: sie wird sichtbar, messbar und als Investition spürbar sein. Damit müssen Kunde und Dienstleister umgehen.
Sie wird auch autonom und selbstermächtigt Thema der Teams sein sein - jenseits der jeweiligen Unternehmensgrenzen. Und mit dieser Selbstentwicklung können sich zeit- und zweckgebunden die Grenzen zwischen neuland und dem Kunden aufheben - solange es sinnvoll ist.
Wir glauben, dass die Fokussierung der Teams und Kunden auf den jeweiligen Endkunden ein Maßstab sein kann, um die Produktivkraft des Umgangs mit Differenz zu bestimmen. Die Weiterentwicklung der Organisation könnte ein anderer Fokus sein. In jedem Fall sind die Schnittstellen als Brücken zwischen sonst hermetischen Subsystemen ausgelegt.
Unbestritten bleibt: selektive Integration erfordert bei den beteiligten Organisationen in jedem Fall Souveränität, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit in Nähe und Abgrenzung. Die drei Horizonte des Kerngeschäfts der Transformation - „Validierung“ und anschließende „Implementierung“ neuer Geschäftsmodelle sowie die „effiziente Weiterentwicklung“ bisheriger Lösungen - würden in Form einer Vielzahl kurz getakteter, selektiver Beziehungen betrieben werden.
Können unsere Kunden und wir schon selektive Integration?
Seien wir ehrlich: Die Pflege von Unterschiedlichkeit bei gleichzeitiger Fokussierung über Unternehmensgrenzen hinweg ist mehr Zukunftskonzept als Realität.
Im letzten Abschnitt sollten trotzdem einige Strukturen und Fähigkeiten beschrieben werden, in denen die selektive lose und damit dynamikrobuste Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg bereits keimhaft angelegt zu sein scheint.
Keim 1: Kooperative DNA
Die grundsätzliche Abneigung gegen durch Macht geregelte Systeme oder Schnittstellen mit großem juristischem Unterbau führt bei uns unmittelbar zur Suche nach kooperativen Lösungen. Das scheint den neuland Teams eingeprägt. Die Kombination aus Software-Handwerk und Ingenieurswissen gepaart mit Freundlichkeit und fehlender Eitelkeit macht symmetrische Schnittstellen zu unserer bevorzugten und angestrebten Option. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und zugänglichen Handlungsoptionen sorgt für eine Präferenz für lose Kopplungen.
Keim 2: Krise gehört dazu
Krise und Chance sind Orte der produktiven Wahrnehmung und Ausnutzung von Differenz. Krisen und Chancen in der Umwelt der Transformation sind also auch in der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit nicht nur Anzeiger für Probleme in der Zusammenarbeit, sondern vielmehr Aufforderung zur Entwicklung angepasster Schnittstellen. Symmetrie, egal ob marktförmig oder selektiv, ist in der Krise oder der Chance der Regelung durch Asymmetrie vorzuziehen. Die Fälle, in denen dies z.B. anhand der Vertikalisierung von Shop-Plattformen gelang, markieren Erneuerung und weisen auf das mögliche qualitativ nächste Level der Zusammenarbeit mit den Kunden aus dem Handel hin.
Keim 3: Nur, weil wir anders sind, wurden wir geholt
neuland Kundenteams sind die zentrale Kontaktfläche unseres Unternehmens zum Kunden. Die Teams unterliegen notwendigerweise der Tendenz zur engen Kopplung. Mindestens initial basiert ihre Produktivität jedoch immer auf der Wahrnehmung und Verarbeitung von Differenz. Diese Qualität im Verlauf der Zusammenarbeit zu verstetigen und zu erneuern erfordert, die Teams immer wieder in den Stand zur Pflege von Verschiedenheit zu setzen. Die Teams dürfen dabei nicht nur die Fähigkeit zur Reduktion von Komplexität via Ausblenden entwickeln. Selbstbewusste neuland Teams und Kunden erkennen und pflegen Differenz.
Keim 4: Wir sind lange an Bord
Das Team ist Teil des Shopfloors. Mit Blick darauf kann es innovativ und produktiv wirken. Die Nutzbarmachung von Erfahrung, das Streben nach handwerklicher Exzellenz und die Aufbereitung von Best Practices erfordern Widerständigkeit und eine Eigenzeit. Die Teams, die Wanderschaft, Teamwechsel, Selbstentwicklung und Innovation zur Aufgabenbeschreibung gemacht haben, leisten hier wichtige Beiträge zur Entwicklung des Geschäftsmodells unserer Kunden.
Keim 5: Der Fokus auf Wert unterstützt den produktiven Umgang mit Differenz
Auch, wenn es für sich und nicht generell hinreichend ist, scheint ein (auf Zeit) gemeinsamer Fokus den produktiven Umgang mit Differenz zu befördern. Dort, wo im Raster agiler Geläufigkeit dieser Fokus (zum Beispiel mit der Dimension „Gebrauchswert für den Endkunden“) vereinbart werden konnte, gestaltet sich die Zusammenarbeit positiv.
Zum Abschluss ...
... wollen wir eines nicht verschweigen: ob aus den kleinen Sprossen des Umgangs mit Unterschiedlichkeit (und z.B. dem damit verbundenen Verzicht auf Umsatz) starke und gesunde Pflanzen werden, ist wie immer alles andere als ausgemacht. Und auch die beste gärtnerische Hilfe kann nur ein kleiner Beitrag dazu sein - niemals eine Garantie.
Aber mindestens gute Gärtner wollen wir auch in der Gestaltung unternehmensübergreifender Beziehungen sein.
zu "Wir müssen reden - Teil 1"
zu "Wir müssen reden - Teil 2"
Wir bedienen uns für die reflektierende Diskussion unseres Unternehmens u.A. der systemtheoretischen Sicht auf Organisationen, siehe Gerhard Wohland, Matthias Wiemeyer: „Denkwerkzeuge der Höchstleister“, der Analysen zur digitalen Transformation, siehe Matthias Schrader: „Transformationale Produkte“ und der organisationalen Antworten darauf, siehe Jürgen Hoffmann, Stefan Roock: „Agile Unternehmen“. Außerdem wird der Aufsatz von Granovetter, Mark S.: The Strengths of Weak Ties“ AJS Volume 78, No. 6 benutzt, um die Qualität der Beziehungen über Unternehmensgrenzen hinweg bewerten zu können. Insbesondere die in den ersten drei genannten Werken vorhandenen umfänglichen Literaturapparate bieten sehr gute Zugänge zu den Themen.