Softwareentwicklung im agilen Team und eine widerspenstige Bau-Brigade in der DDR der sechziger Jahre - bringt das was zum Schwingen?
Sieben Kerle kommen auf den Betrachter zu. Frontal. Kerlhafte Kerle. In Zimmermannskluft. Im Schiebergang. Die Gruppe bewegt sich - ohne Hast, aber mit einer subtilen Kraft. Ein, zwei der sieben Männer scheinen kurz vor einem Tanz, vielleicht einem Hüpfer oder einem Stepmove. Auf jeden Fall gibt es keinen Gleichschritt - und das wäre auch heute schon mal beruhigend. Die Aufstellung in einer unfertig staubigen Kulisse, eine Dampfwolke steigt im Hintergrund vor einer Konstruktion (aus Holz oder Metall?) auf. Das optische Zitat könnte sich auf die glorreichen Sieben beziehen, oder vielleicht sogar das Original der sieben Samurai.
Der große Mann in der Mitte ist dem Betrachter am nächsten, wenn auch nur ein wenig. Sein Gewicht im Zentrum verdankt sich nicht nur der Bildmitte und der Position an der Spitze des flachen Dreiecks aus von innen nach außen der kleiner an Gestalt werdenden Kollegen als vielmehr aus der schieren Größe des athletisch gebauten, vielleicht irgendwann zur Massigkeit neigenden Hutträgers. Ach ja, die eleganten, spitzen Schuhe, die so gar nicht nach derben Stiefeln aussehen, sind ein Stilelement des Crooners, das man so nicht erwarten muss.
Hannes Balla, so heißt der Charakter, den Manfred Krug im Defa Film „Spur der Steine“ aus dem Jahr 1966 verkörpert, ist ein Querkopf. Der Chef einer Bau-Brigade auf einer sozialistischen Musterbaustelle der sechziger Jahre in der DDR, die - wie vieles gut gemeinte im besser sein wollenden Deutschland - ruckelt und hakt. Wo es nicht so schnell vorangeht wie geplant, und auch nicht so schnell, wie es möglich wäre, wenn sich alle am gemeinsamen Ziel orientierten. Wo Mangel, aber auch Eitelkeiten und kleine Nickligkeiten den Betrieb aufhalten, die aber im Gegensatz zur Fehlallokation von Ressourcen, und das macht es so schön anzusehen, eben Teil des großen menschlichen Theaters sind, das überall aufgeführt wird, wo einige Köpfe und Herzen zusammenkommen.
Ich wollte dieses Bild immer schon mal verwenden. Weil ich es so schön und gelungen finde, weil ich den Manne Krug aus dieser Zeit so viel lieber ansehe als den saturierten West-Berliner Schlipsträger aus Liebling Kreuzberg, und weil es auch heute für Teams viel zu lernen gibt von dem Kollektiv im Breiten Cord.
Für mich ist die Gruppe um Hannes Balla ein Prototyp für agile Teams, in denen Werkstolz und Pragmatismus eine gute Balance halten und in denen Selbstbewusstsein und Kompetenz mit einer Prise Bescheidenheit und Reflexion ins rechte Verhältnis gerückt werden.
Aber der Reihe nach. Die Frage, welche Individuen bei neuland gut aufgehoben sind und dieses Unternehmen prägen und gestalten, beschäftigt mich schon seit längerem z. B. Wie wir ticken. Ob im Bericht eines Veteranen oder in einer Auseinandersetzung mit Archetypen heroischer Einzeltäter - so richtig ist der Drops wohl noch nicht gelutscht. Der Beitrag hier soll den Blick auf die Gruppe, das Team bei neuland richten und frei assoziieren.
Die Teams bei neuland sind vieles, eigentlich fast alles. Die Schicht Gesamtunternehmen ist dünn, und das auch gewollt, denn für uns Unternehmensleitende ist das Team rund um Aufgaben und Kunden genau der richtige Ort, um zu konzipieren, zu entscheiden und die besten, optimal an die Situation des Kunden angepassten, Lösungen zu finden. neuland als Unternehmen ist subsidiär. Wir organisieren nur, was das Team nicht kann (nicht : was das Team nicht will) oder was wir für das Gesamtunternehmen brauchen.
Und so treten unsere Teams auch auf. Moderne Technik im Kreuz (ja, das war auch auf der Baustelle oben so). Gerne etwas provokativ und abwartend, zugewandt, freundlich, aber durchaus auch gewillt, sich erst überzeugen zu lassen. Die Gruppen bestehen aus Kolleginnen (die fehlen hier zugegebenermaßen) und Kollegen, sind altersmäßig gemischt und insgesamt mit einem großen Schatz an Erfahrung ausgestattet. Diese Erfahrung wird entwickelt und gepflegt - ohne formale Lehrbefugnis, aber mit einer Kultur des Unterrichtens am Projekt. Egalitär ist das: alle, die was zu geben haben, lehren, und alle, die etwas nehmen wollen, lernen.
neuland Teams sind soziale Heimat und - mindestens solange wir den Job erledigen müssen - fokussiert, stetig und mit aufgekrempelten Ärmeln unterwegs. Im Team kann jeder so bleiben wie er ist und sich so verändern, wie er mag (zum Teil passiert das einfach so). Alle Temperamente finden ihren Platz. Balla ist der Lautsprecher der Truppe, manchmal auch ein wenig zu laut, aber nur, weil das Team ihm den Rücken freihält (vor allem bei Auseinandersetzungen), kann er mehr sein als er alleine wäre. Seine Sorge und Loyalität gilt dem Projekt und dem Team, im Zweifelsfall eher dem nachhaltigen Erfolg als einer für den Vordergrund konzipierten Kampagne. Das muss der Altfunktionär in der Spur der Steine als personfizierte Hinterbühne und Meister auf dem Spielen der Klaviatur der Macht in hohem Alter erfahren.
Das Team weiß um die Bedeutung von Pausen und Spaß. Und es weiß auch, dass es keinen Widerspruch zwischen einer wilden Schlacht im Wasserbecken und einem Fertigstellungstermin gibt, denn „nur wer Spaß haben kann, kann auch erfolgreich sein“.
Für die Vertreter der Institutionen ist das Team eine Bank. Das Team schafft seine Aufgaben. Es macht Dinge möglich, die nicht möglich erschienen. Es übernimmt Verantwortung für die eigenen Arbeitspakete , und das auch über die enge Aufgabenbeschreibung hinaus. Es schaut vor und hinter sich im Prozess der Wertschöpfung. Und wo Regeln den Erfolg verhindern, werden sie gebogen und gedehnt, bis es passt.
Für den lokalen Parteisekretär und die junge Architektin in der Spur der Steine sind Ballas Jungs unbeabsichtigt eine wenig willkommene Mahnung an die Begrenztheit der eigenen Organisation und vielleicht auch das eine oder andere Mal der eigenen Person. Für POs und Stakeholder der Gegenwart ist das mit neuland Teams nicht anders, denn ohne Begründung ging weder damals mit Brigadisten noch geht heute mit agilen Softwareentwicklern wenig bis nichts. Befehl und Gehorsam oder Command and Control sind ihre Sache nicht. Loyalität und Großzügigkeit im gesamten Kontext der Aufgabe schon, das war Thema in der Spur der Steine und das erlebt man in der Zusammenarbeit mit uns.
Das Kollektiv um Hannes Balla scheitert im übrigen mehrfach, so wie auch er als Person - auch das kennen wir heute nur zu gut. Und trotzdem ist man geneigt anzunehmen, dass es weiter gehen wird, denn zu viele Erfolge sind auch im Scheitern sichtbar geworden. Und dass die Stadt gebaut wird, „in der die guten Menschen wohnen und arbeiten sollen“.
P.S. Der Film Spur der Steine ist in den Kinos der DDR nur wenig länger als eine Woche lang gezeigt worden. Nach dem erfolgreichen Start bei den Arbeiterfestspielen in Potsdam ab dem 15. Juni 1966 wurde die Vorführung in den Kinos der DDR nach Sitzungen des Politbüros und des ZK am 29.6.1966 ab dem folgenden Tag DDR-weit massiv behindert. Heute gehört der Film zum kollektiven Erinnerungskanon mindestens im Osten Deutschlands.
Quellen und Rechte:
Ein Extra-Dank für Hinweise und Material zur Geschichte der Spur der Steine geht an Frau Sabine Söhner von der DEFA Stiftung, die nicht nur "'Förderung/Fotovertrieb/Schriftenreihe' ist", sondern ihr Wissen bereitwillig und gerne teilt - auch balla-esk, sozusagen. Ihr Tipp “Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg 1946 – 92“ (Henschel Verlag) half mir, historisch korrekt zu sein.